Die neueste Zeit

Ablösungen. Beteiligung der Bevölkerung an den Aufgaben in Staat, Gemeinde, Kirche und Schule

Die Neuzeit, die wir eben durchwandert haben, führte noch ein gut Teil Mittelalter mit sich: das Lehnswesen. Zugleich fehlte ihr noch ein wichtiges Stück des gegenwärtigen Lebens, nämlich die gesetzlich geregelte Beteiligung der gesamten Bevölkerung an den öffentlichen Angelegenheiten. Die neueste Zeit beginnt nun damit, dass das Lehnswesen endgültig beseitigt wird und der Bevölkerung eine Mitwirkung bei den Geschäften des Staates und der Gemeinde, der Kirche und der Schule verstattet wird.

Das Gericht Ottrau, mit dessen Verwaltung die Familie von Schwertzell neben der Landsherrschaft so lange als mit einem Amte belehnt gewesen war, hatte bei der Errichtung des Königreichs Westfalen sein Ende genommen. Auch die Wiederherstellung des Kurfürstentums Hessen verhalf ihm nicht wieder zum Leben. Aber wenn auch das Amt gefallen war, so verblieb den Gerichtsherren doch immer noch dessen Besoldung, d. h. sie blieben mit dem Gerichtsbezirke belehnt; was zur Folge hatte, dass dessen Bewohner nach wie vor ihre zu Abgaben und Diensten verpflichteten Lehnsleute waren.

Lange sollte es freilich nicht mehr dabei bleiben. 1831 bekam Kurhessen eine Verfassung, und 1832 begann man die Verpflichtungen der Lehnsleute mit Geld abzulösen und dadurch das Lehnswesen nach und nach abzuschaffen. Zunächst wurden auf diese Weise die Wald- und Jagddienste aufgehoben. Ihre Aufhebung erfolgte durch Verordnung vom 29. Febr. 1832. Zur Verständigung über die Höhe des Ablösungskapitals kam es jedoch erst 1843. Die Familie von Schwertzell erhielt damals für die aufgehobenen Wald- und Jagddienste der Ottrauer, Berfer und Sachsenhäuser eine einmalige Entschädigung von 1313 Talern 3 guten Groschen. Im Jahre 1836 (bzw. 1837) wurden die Weid- oder Trifthämmel abgelöst. Die Landesherrschaft erhielt dafür aus Ottrau ein Ablösungskapital von 232 Talern 11 Albus 8 Hellern, die Familie von Schwertzell aus Ottrau 256 Taler 1 Albus 4 Heller und aus Ropperhausen 93 Taler 19 Albus 4 Heller. Den Tritthämmeln folgte 1839 der Rottzehnte. Landesherrschaft und v. Schertzell erhielten von den Ottrauer Zehntpflichtigen eine Abfindungssumme von je 2129 Talern 2 guten Groschen und 12 Hellern. Durch Vertrag vom 8. Juni 1844 wurden die an den v. Schwertzellschen Hof zu leistenden Hand- und Fahrdienste gegen ein Kapital von 536 Talern abgelöst. Am 15. Februar 1845 wurden auch die an das herrschaftliche (Merlische) Erbleihgut zu leistenden Dienste abgelöst. Die Ottrauer Pflichtigen zahlten 466 Taler Ablösungskapital, die Sachsenhäuser zahlten 168 Taler. Was nun noch an Lehnsabgaben übrig blieb, nämlich der ständige Geldzins und das Weinfuhrgeld, die ständigen Fruchtlieferungen und die Rauchhühner und Laubhähne – das wurde im Jahre 1851 mit Geld abgelöst.1 Damit hatte das Lehnswesen nach vielhundertjährigem Bestande sein Ende erreicht. Die Bewohner unserer Dörfer waren wieder, was ihre Väter in der Urzeit gewesen waren: freie Eigentümer ihres Besitzes. Den Rechtsboden zu dieser segensreichen Änderung lieferten die Ablösungsgesetze des kurhessischen Staates seit 1832. Die dazu notwendigen Geldmittel wurden der Bevölkerung von der Landeskreditkasse zu einem niedrigen Zinsfuße geliehen.

Blicken wir nun auf das andere Wahrzeichen der neuesten Zeit, die Mitwirkung des Volkes bei den öffentlichen Angelegenheiten, so ist diese auf den verschiedenen Gebieten verschieden früh eingeführt worden. Am frühesten, nämlich schon 1831, auf dem Gebiete des staatlichen Lebens. 1831 bekam Kurhessen eine Verfassung, und nun konnten auch die Ottrauer einen Abgeordneten zum Landtag wählen und durch diesen Mann ihrer Wahl einen Einfluss auf die Staatsgeschäfte ausüben. Waren sie bis dahin nur Untertanen gewesen, die alles ihrer Obrigkeit überlassen hatten, so wurden sie nun auch Staatsbürger, die sich zur Mitarbeit an den Aufgaben des Staates berufen fühlen sollten. Dass es in Ottrau Leute gab, die diesen Umschwung freudig begrüßten und die Arbeiten des Landtags mit Spannung verfolgten, das lehrt ein Eintrag in der Rechnung 1832. Lehrer Roeth verbucht da nämlich 2 Taler 17 Albus Reisekosten für eine Deputation nach Cassel am 18. Juni 1832 „wegen der Verkündigung der so lange gewünschten Gesetze.“

Das „tolle Jahr“ 1848 verführte manche Ottrauer dazu, in die Dick zu ziehen und Holz zu freveln oder Wilddiebereien zu treiben. Doch kamen keine Störungen der öffentlichen Ruhe vor. Pfarrer Lautemann erwähnte in der Ältesten-Versammlung vom 5. April 1848 die damalige „höchst aufgeregte, traurige Zeit“ und sagte, dass es Pflicht eines jeden ordentlichen Hausvaters sei, zur Ruhe und Gesetzmäßigkeit in seinem Kreise aufzufordern und ermahnte vor allem die Ältesten dazu. Auch die Ereignisse von 1866, wo Ottrau aus einem kurhessischen ein preußisches Dorf wurde, riefen im allgemeinen keine tiefgehenden Wirkungen in der Bevölkerung hervor. Vor der Einverleibung in Preußen mögen wohl manche auf Bismarck und die Preußen gescholten haben. Aber nachher verstummten sie und fanden sich bald in die neuen Verhältnisse.

Eine große Zeit erlebten die Ottrauer wieder in den Jahren 1870 und 71. Pfarrer Seelig schreibt davon in der Pfarrerchronik: „Im Juli 1870 brach der Krieg mit Frankreich aus. Während der ganzen Kriegszeit herrschte große Aufregung in der Gemeinde, und es wurden besondere Gebetsgottesdienste bis zum Winter abgehalten. Gottes Hand hat schwerere Verluste verhütet. Nur zwei, Lang und Quehl, wurden schwer verwundet. Gefallene hatte das Kirchspiel nicht zu beklagen. Als am 27. Februar 1871 gegen Abend die Nachricht von dem Abschluß der Friedenspräliminarien hier eintraf, da war das Verlangen, Gott dem Herrn für den wiedergeschenkten Frieden zu danken, so groß, daß alsbald ein feierlicher Abendgottesdienst bei beleuchteter Kirche gehalten wurde. Vor Beginn des Gottesdienstes wurde eine Stunde lang geläutet. Die Schulkinder sangen am Altar: Großer Gott, dich loben wir. Es war eine schöne Feier in der ersten begeisterten Freude.“

1872 wurden die Feldzugteilnehmer durch eine Kriegertafel in der Kirche geehrt. Sie enthält 27 Namen: Joh. Heinrich Degenhardt, Johannes Diehl, Johannes Dirlam, Valentin Heinrich Euler, Johannes Falk, Joh. George Falk, Heinrich Hanstein, Joh. Heinrich Höller, Karl Hücker, Joh. Heinrich Kurz, Joh. Heinrich Lang, Haune Levi, Moses Levi, Gottfried Pietsch, Joh. Heinrich Ploch, Johannes Quehl, Johannes Schmidt, – Heinr. Damm, Heinrich Diehl, Joh. Heinrich Euler, Reinhard Hücker, Johannes Kappes, Philipp Lang, Johann George Lang, Joh. Heinrich Thamer, Joh. Friedrich Wind. Die letzten neun hatten nicht vor dem Feind gestanden; sondern als Besatzung von Festungen gedient.

Seit 1871 erfreut sich Ottrau des Friedens und der Segnungen des neuen Deutschen Reiches.

Wenden wir uns nun zu den Gemeindeverhältnissen. Auf diesem Gebiete begann die neueste Zeit im Jahre 1834, indem den Gemeinden durch die Gemeindeordnung vom 23. Oktober jenes Jahres weitgehende Selbstverwaltungsrechte verliehen wurden. Bis dahin hatten die Gemeindeglieder nur wenig Einfluss auf die Gemeindeangelegenheiten gehabt. Grebe und Vorsteher wurden von oben ernannt. Nach der Spezialbeschreibung von 1750 stand der Ottrauer Grebe nicht etwa im Dienst der Gemeinde, sondern der beiden Gerichtsherren. Deren Interessen wahrzunehmen, war seine Hauptaufgabe. Das wurde nun alles anders. Von jetzt an wählten die stimmfähigen Ortsbürger einen Gemeinde-Ausschuss, der in Ottrau aus 6 ständigen und 6 außerordentlichen Mitgliedern bestand. Der Ausschuss wählte den hier aus 2 Mitgliedern bestehenden Gemeinderat. Und beide Körperschaften zusammen wählten den Ortsvorsteher, der seit 1834 auch auf dem kleinsten hessischen Dorfe nicht mehr Grebe, sondern Bürgermeister heißt. Bürgermeister, Gemeinderat und Ausschuss verwalteten nun die Gemeindeangelegenheiten mit einer gegen früher großen Selbstständigkeit.

Der erste Ottrauer Bürgermeister war der letzte Grebe Johannes Battenberg. Er bekleidete das neue Amt aber nur noch 2 Jahre. 1837 wurde Johannes Knoch an seine Stelle gewählt, dem die schöne Amtszeit von 37 Jahren (1837-1874) beschieden war. Daher haftet der Beiname „Bürgermeister“ noch heute an seinen Nachkommen statt an seinen Nachfolgern. Ihm folgte Kaspar Kurz mit 18 Dienstjahren (1874 bis 92). Seitdem verwaltet Joh. Heinrich Martin das Bürgermeisteramt. Ropperhausen hatte in dem gleichen Zeitraum die Bürgermeister Nikolaus Schacht (1835-47), Andreas Wiederhold (1847-63), Joh. Jost Auel (1863-71), Georg Heinrich Wiederhold (1871 bis 91), und Johannes Schwalm.

In der seit 1834 verflossenen Zeit haben sich natürlich viele für das Leben der Gemeinden wichtige Veränderungen zugetragen. Dahin gehört der Ausbau des Wegenetzes, der nach und nach von den Gemeinden vollzogen wurde. Einst in unwegsamer Gegend gelegen sind Ottrau und Ropperhausen nun durch gut chauffierte Straßen mit den Nachbarorten verbunden. Ja, seit dem 1. August 1907 ist Ottrau Haltestelle der Treysa-Hersfelder Eisenbahn.

Ferner sind hier einige Ablösungen zu erwähnen. Früher hatte die Jagd in der Ottrauer Gemarkung der Landesherrschaft und der Familie von Schwertzell zugestanden. Auf Grund des Jagdgesetzes vom 7. September 1865 wurde diese Jagdberechtigung dadurch abgelöst, dass die Gemeinde Ottrau ein Ablösungskapital von 182 Tlr. 10 Sgr., halb an den Staat und halb an von Schwertzell, bezahlte. Seitdem steht die Feldjagd der Gemeinde zu und wird von ihr verpachtet. Noch wichtiger war eine andere Ablösung. Seit alters hatte die Gemeinde sowie die Pfarrei und Schule Ottrau das Huterecht an gewissen Waldorten gehabt. Die Pfarrei bezog außerdem alljährlich 4 und die Schule 2 Klaftern Streuzeug aus dem Walde. Ebenso hatte die Gemeinde Ropperhausen von jeher Huteberechtigungen besessen. Diese Berechtigungen wurden durch Vertrag vom 17. August 1886 abgelöst. Die Gemeinde Ottrau erhielt für ihr Huterecht 2916 Mark 80 Pfg., Ropperhausen 196 Mark 40 Pfg., die Pfarrei bekam für ihre Berechtigungen 228 Mark und die Schule 70 Mark 80 Pfg. Damit haben unsere Dörfer alle Rechte auf den umliegenden Wald, abgesehen von dem Rechte auf Losholz, sowie auf Raff- und Leseholz, aufgegeben.

Bei der Volkszählung 1910 zählte man in Ottrau 558 und in Ropperhausen 80 Einwohner. An neuen Familiennamen begegnen uns seit 1851 in Ottrau: Battenberg, Berg, Bohlender, Dietz, Dippel, Fink, Gies, Götz, Grein, Hanstein, Hofmann, Ihle, Kaufmann, Kessler, Knorr, Kranz, Kropf, Kurz, Mangold, Nafziger, Ochs, Prinzel, Quanz, Riehm, Roth, Ruppel, Schäfer, Schmidt, Schnegelsberger, Schneider, Schreiner, Stehl, Stein, Thiel, Wagner, Wehnes, Weppler. In Ropperhausen treten neu auf die Namen Bernhard, Boeis, Euler, Geßner, Haas, Heimbächer, Kalbfleisch, Oppermann, Rapsilber.

Zusammen mit der beschriebenen politischen Entwicklung hat sich ein erfreulicher wirtschaftlicher Aufschwung unserer Dörfer vollzogen. Das einst fast als arm geltende Ottrau ist ein wohlhabendes Dorf geworden. Dazu haben mancherlei Ursachen geführt. Eine ist gewiss die bessere Bewirtschaftung der Äcker und Wiesen; insbesondere die Kalkdüngung, die seit den 50er Jahren üblich wurde und die die Felder und ihre Erträge bedeutend verbesserte. Aber die Hauptursache haben wir doch in der politischen Entwicklung zu erkennen. Die Aufhebung des Lehnwesens samt seinen Lasten und Beschränkungen machte die Ottrauer und Ropperhäuser erst zu wirklich freien Eigentümern ihres Besitzes. Und das musste den Unternehmungsgeist und die Schaffensfreude wecken. Auf freiem Eigentum arbeitete man mit mehr Lust als auf nur geliehenem Besitze. Noch mehr aber förderten die Ereignisse der großen Politik den Wohlstand. Wir meinen die Einverleibung Hessens in das Königreich Preußen und besonders die Siege von 1870/71 und die Errichtung des Deutschen Reiches. Wie dadurch ganz Deutschland einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung genommen hat, so haben es auch unsere Dörfer im kleinen getan.

Dabei dürfen wir eine Einrichtung nicht vergessen, die sich ebenfalls als mächtiger Hebel der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Dörfer erwiesen hat und erweist. Wir meinen den Spar- und Darlehnskassen-Verein Raiffeisenscher Organisation, der in Ottrau seinen Sitz hat. Der Verein wurde am 15. Mai 1881 durch Pfarrer Seelig gegründet und hat sich seitdem stetig weiter entwickelt. Heute umfasst er 8 Dörfer: Ottrau, Ropperhausen, Görzhain, Berfa, Weißenborn, Immichenhain, Alt- und Neuhattendorf. Als Sparkasse fördert der Verein den Spartrieb. Als Darlehnskasse ermöglicht er jedem kreditfähigen und kreditwürdigen Mitglied die Erlangung eines Darlehns zu nützlichen Unternehmungen wie Bauten und Landankäufen. Als Konsumverein bietet er seinen Mitgliedern landwirtschaftliche Gebrauchsgegenstände wie Kunstdünger, Futtermittel, Kohlen, Saatgut in guter Qualität und zu angemessenem Preise. Am Ende des Jahres 1913 zählte der Verein 451 Mitglieder. An Spargeldern waren ihm anvertraut 723 103 Mark 59 Pfg., wozu noch 9672 Mark 36 Pfg. Guthaben der Mitglieder in laufender Rechnung kamen. Darlehen hatte er ausstehen in Höhe von 586 299 Mark 27 Pfg., wozu noch 43 595 Mark 9 Pfg. Guthaben bei Mitgliedern in laufender Rechnung kamen. An Gebrauchsgegenständen wurden gemeinsam bezogen 8871 Zentner für 47 616 Mark.

So ist der Mangel und die Not früherer Zeiten dem heutigen Geschlechte fast unbekannt. Statt dessen ist der Wohlstand häufig geworden und hat sich die Lebenshaltung in allen Ständen gehoben. Möchten wir darum die seitherige ländliche Schlichtheit nicht verlieren. Möchte uns erhalten bleiben der Väter Einfachheit in Hausbau und Hausgerät, in Kleidung und Tracht, in Sitte und Sprache! Bleibt Bauern ihr Bauern! Bleibt dörflich ihr Dorfleute! Bleibt eurer schönen Tracht treu, ihr Schwälmer Frauen und Mädchen! Möchten wir auch bewahret bleiben vor jenem Nützlichkeitsgeiste, der nur noch achtet, was Geldwert hat. Der der Rose und Nelke ihren Platz im Garten nicht gönnt, weil an ihrer Stelle Kartoffeln und Rüben wachsen könnten, und der jeden Busch und Baum, die Wohnstätte der lieblichen Singvögel, ausrottet, um ein paar Hände voll Heu mehr zu ernten.

Auf dem kirchlichen Gebiete ist die neueste Zeit mit der Presbyterial- und Synodal-Ordnung vom 18. Dezember 1885 eingekehrt. Bis dahin hatte die Gemeinde so gut wie gar keinen Einfluss auf ihre kirchlichen Angelegenheiten gehabt. Zwar hatte sie im 17. Jahrhundert ein Recht besessen, das sie auch heute noch nicht wieder erlangt hat. Sie hatte eine bescheidene Mitwirkung bei der Besetzung der Pfarrstelle gehabt. Aber das war nur kurze Zeit der Fall gewesen, und dann war wieder alles von oben herunter angeordnet worden. Der erste Satz in der neuen Ordnung lautet nun aber: Die Kirchengemeinden haben ihre Angelegenheiten innerhalb der gesetzlichen Grenzen selbst zu verwalten. Diese Selbstverwaltung übt die Gemeinde durch ihr Presbyterium aus. Die über 25 Jahre alten Gemeindeglieder wählen die Gemeindeverordneten, deren Zahl hier 8 beträgt. Die Gemeindeverordneten wählen wieder die Kirchenältesten, deren wir hier 4 haben. Die Kirchenältesten bilden für sich allein das kleine Presbyterium. Die Kirchenältesten sollen mit dem Pfarrer das religiös-sittliche Leben der Gemeinde fördern. Das große Presbyterium hat die äußeren Angelegenheiten der Gemeinde zu verwalten.

Der erste neue Pfarrer nach Einführung dieser Kirchenverfassung war Georg Glintzer. Er ist gebürtig aus Röllshausen und verwaltete das hiesige Pfarramt vom 1. April 1887 ab ein Jahr lang als Verweser und dann 16 Jahre als Pfarrer. Er veranlasste 1900 die Anlage einer Kirchenheizung. Neben dem Pfarramt widmete er sich besonders dem Ausbau des von seinem Vorgänger gegründeten Raiffeisen-Vereins. Seit dem 15. April 1904 steht er als Pfarrer in Verna.

Am 1. Juni 1904 trat der jetzige Pfarrer Wilhelm Wagner sein Amt hier an. Er stammt aus Niederkaufungen und war vorher schon an 6 verschiedenen Orten im Pfarr- und Schuldienst beschäftigt gewesen. Vom 1. Oktober 1910 an war der Kandidat Helwig Schmidt aus Lischeid ein Jahr lang als Ausbildungsvikar im Ottrauer Pfarrhause. Seit dem 16. August 1913 sind die Kandidaten Paul Eckhard aus Elbersdorf und Otto Wickert aus Langenstein als Vikare hier. Sie dienen dem Pfarrer zugleich als Gehilfen, da er seit Frühjahr 1913 durch eine Lähmung an der Ausübung seines Berufes verhindert ist.

Im Jahre 1894 stiftete die Witwe Elisabeth Knoch 500 Mark zur hiesigen Legatenkasse. Seit 1903 besteht ein Legat des Oberzolldirektors von Schwertzell in Höhe von 300 Mark, dessen Zinsen der Pfarrer an Ottrauer Arme verteilt. 1910 wurde der Kirche von einem unbekannten Wohltäter eine silberne Taufschüssel verehrt. Im Sommer 1912 wurde das Innere unserer Kirche von dem Maler Martin zu Alsfeld stilgerecht erneuert.

Über den gegenwärtigen religiös-sittlichen Zustand der Gemeinde soll hier nicht geurteilt werden. Möge die überlieferte Kirchlichkeit nicht schwinden, sondern bleiben und sich immer mehr zu wahrer Christlichkeit vertiefen! Möge die Gemeinde in allen Stücken wachsen zu dem, der ihr Haupt ist, Christus!

Zuletzt ist die neueste Zeit auf dem Schulgebiete eingekehrt. Früher waren unsere Dörfer an den Schulangelegenheiten nur durch Zahlung von Geldbeiträgen beteiligt. Das wurde anders durch das Schulunterhaltungsgesetz vom 28. Juli 1906. Seitdem haben wir einen Gesamtschulverband Ottrau, der aus Ottrau und Ropperhausen und den Gutsbezirken Immichenhain und von Schwertzell besteht. Die äußeren Schulangelegenheiten dieses Verbandes besorgt ein Schulvorstand. Er besteht aus den Bürgermeistern der beiden Dörfer, dem Lehrer und Pfarrer, 4 gewählten Mitgliedern von Ottrau und 2 gewählten Mitgliedern von Ropperhausen und je einem Vertreter der Gutsbezirke. Der Schulvorstand hat u. a. die wichtige Aufgabe, den Lehrer zu wählen.

So ist im Laufe der letzten 80 Jahre nach und nach auf allen Gebieten eine wirklich neue Zeit angebrochen. Unsere Bevölkerung ist für mündig erklärt und zur Mitarbeit in Staat und Gemeinde, Kirche und Schule berufen. Möge diese Mitarbeit allezeit mit Verständnis und in Liebe zur Sache geschehn!

Zum Abschied

Nun ist das Buch zu Ende;
Doch leg´s nicht eher fort,
Als bis du noch vernommen
Ein kurzes Abschiedswort.

Was tat dies Buch? Es malte
Dir deiner Heimat Bild
Im Wechsel vieler Zeiten,
Bald friedlich und bald wild.

O, liebe deine Heimat!
Kein Ort in Stadt und Land
Dräng‘ den aus deinem Herzen,
Wo deine Wiege stand.

Wohl dir, darfst deine Arbeit
Du in der Heimat tun
Und nach des Lebens Mühe
Im Heimatboden ruhn!

Und müsstest du sie lassen,
Weil dir das Los so fiel,
So bleibe doch die Heimat
Stets deiner Sehnsucht Ziel. –

Was tat dies Buch? Es zeigte
Dir deiner Väter Schar.
Es stellte dir ihr Wirken
Und auch ihr Leiden dar.

Vergiß sie nicht, die Väter!
Fürwahr sie sind es wert,
Daß sie vom Enkelvolke
Noch werden treu geehrt.

Du stehst auf ihren Schultern,
Sie legten einst den Grund
Zu dem, was du besitzest,
Und was dir nützt zur Stund‘.

Du erntest auf dem Acker,
Den sie zuerst gepflügt.
Du betest in der Kirche,
Die ihre Hand gefügt. –

Was tat dies Buch? Es lehrte,
Daß Gott die Welt regiert,
Der aus der Nacht zum Lichte,
Aus Tiefen aufwärts führt.

O, preise Gottes Güte,
Die mit den Vätern war
Und die ob deiner Heimat
Gewaltet wunderbar!

Und schaust du in die Zukunft
Und fragst: Was da wohl kommt?
So hör‘: Was Gott beschlossen
Und was in Zukunft frommt.

In starken Vaterhänden
Hält Gott die Zügel fest.
Zum Heile muß geraten,
Was er geschehen lässt.

1 WW: Nach den betr. Ablösungsakten im Will. Archiv