Vorwort

Im Jahre 1914 veröffentlichte Herr Pfarrer Wagner seine „Geschichte von Ottrau und Klein-Ropperhausen“. Er hat die Chronik beider Ortschaften zusammengefasst, weil sie, einem gemeinsamen Kirchspiel angehörend, aus seiner Sicht eine Einheit darstellten. Bei der Fortführung der Chronik wird in der gleichen Weise verfahren. Es wird in Folge nicht versucht, an das fast dichterische Werk von Herrn Pfarrer Wagner anzuknüpfen. Die aufgelockerte Aneinanderreihung von Ereignissen, wenn auch nicht immer ganz chronologisch, zwingt auf Grund einer Vielzahl von Fakten zu einer nüchternen, sachbezogenen Sprache.

Sollte das ein oder andere Ereignis sich in der Erinnerung eines geneigten Lesers anders darstellen, so sei versichert, dass immer versucht wurde der Wahrheit nahezukommen, ohne sie absolut zu beanspruchen.

Der 1. Weltkrieg

Am Ende seines Buches stellte Pfarrer Wagner fest, dass ein gewisser Wohlstand sich ausbreitete. Er ahnte nicht, dass der Ausbruch des 1. Weltkrieges diese sich anbahnende Entwicklung jäh umkehren würde, denn im August 1914 begann der 1. Weltkrieg und dauerte vier Jahre an. Er hat sowohl dem deutschen Volk als auch den Mitgliedern unserer Gemeinde große Opfer abverlangt.

Insgesamt 112 Männer im wehrfähigen Alter haben an den Kämpfen dieses Krieges teilgenommen. 21 Bürger aus Ottrau und Kleinropperhausen fielen oder erlagen unmittelbar nach Kriegsende ihren Verletzungen.

Um die Opfer zu würdigen, nachstehend ihre Namen:

Johannes Martin
Johann Heinrich Weppler
Johannes Kranz
Johann Jost Stein
Jakob Levi
Johann Heinrich Degenhardt
Johann Jost Gischler
Jakob Bierwirt
Heinrich Schreiber
Johann Heinrich Bierwirth
Heinrich Schenk

Heinrich Stein
Fritz Boeis
Johann Jost Mangold
Johann Jost Damm
Georg Heinrich Haas
Friedrich Jung
Johann Heinrich Falk
Johannes Oppermann
Heinrich Noll
Johann Heinrich Schneider

Der Chronist, Herr Pfarrer Wagner, der 1916 verstarb, und der damalige Bürgermeister Johann Heinrich Martin erlebten ebenfalls das Ende dieses Krieges nicht. Die 1918 grassierende Grippe forderte noch zusätzlich zahlreiche Opfer unter der Bevölkerung.

In der Novemberrevolution des Jahres 1918 brach das Kaiserreich zusammen. Kaiser Wilhelm II. ging ins Exil nach Doorn in den Niederlanden. Hier sei ein Kuriosum vermerkt: Ein Ottrauer Bürger wanderte in der Nachkriegszeit nicht nur bis Paris, sondern er hat auf seinen langen Fußreisen auch den abgedankten Kaiser in dessen Exil besucht und wurde dort empfangen.

Die Zeit der Weimarer Republik

Die damals einsetzende demokratische Entwicklung, die in die Weimarer Republik einmündete, wurde von Anfang an aufs Schwerste durch den Versailler Vertrag belastet. Der neuen Republik aufgebürdete Reparationszahlungen führten, trotz intakt gebliebener Produktionsbetriebe, zum Zusammenbruch von Wirtschaft und Währung in den folgenden Jahren.

1923 hatte die Goldmark nur noch ein Zehntausendstel des Wertes von 1914. Im gleichen Jahr wurde für den Dollar eine Billion Mark gezahlt. Die Einführung der Rentenmark, die 1924 in die Reichsmark umgewandelt wurde, beendete diese Inflation. Nach 1924 setzte zunächst eine leichte Erholung der Wirtschaft von den Kriegsfolgen ein, die auch in unseren Gemeinden spürbar wurde.

Der schon im Jahr 1916 eröffnete Quarzitsteinbruch der Firma Goldhagen aus Ziegenhain, in dem übrigens schon 1917 der erste Lastkraftwagen fuhr, gedieh und stellte zunehmend Arbeitskräfte ein. Der Quarzit aus diesem Bruch wurde vorwiegend zur Ausmauerung von Hochöfen verwandt. Im Jahr 1930 wurde der Quarzbruch geschlossen, er „soff“ ab und es bildete sich der unter Ottrauern als „Hegestrauch“, für andere unter dem Namen „Blauer See“, bekannte Waldsee, der bedauerlicherweise heute dem allgemeinen Zugang entzogen ist.

1920 begann der Basaltsteinbruch „Sebbel“ zu produzieren und gab ebenfalls einer Anzahl von Bürgern aus Ottrau und Umgebung Arbeit. Der Betreiber dieses Steinbruches war die Firma Dolorit Basalt AG. Der Basalt des Sebbel-Steinbruches fand vielseitige Verwendung. So bei der Küstenbefestigung, als Schotter für Gleis- und Straßenbau, als Splitt für die Herstellung von Beton und nicht zuletzt als Pflasterstein.

1936 war auch der „Sebbel“ ausgebeutet. Das Unternehmen mit etwa 60 Beschäftigten siedelte nach Schorbach über und baute den dortigen „Köppel“ ab. Brecher und Schotterwerk verblieben in Ottrau und arbeiteten bis 1965, als auch dieser Bruch unergiebig wurde.

In unmittelbarer Nähe des „Sebbels“, an der Bahn gelegen, betrieb ein Unternehmen aus Ziegenhain eine Betonröhrenfabrikation mit drei bis vier Mitarbeitern. Sie wurde mit der Schließung des „Sebbels“ eingestellt.

Der Bauunternehmer J. H. Gischler gründete am Bahnhof Ottrau im Jahre 1924 eine Ziegelei mit etwa 15 Beschäftigen. Sie ging später in den Besitz eines Ziegenhainer Unternehmens über. Die Firma Gischler war zu jener Zeit der einzige handwerkliche Betrieb von Bedeutung, ein Hochbauunternehmen, in dem schon vor dem Krieg 50 bis 60 Maurer und Hilfsarbeiter beschäftigt waren. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen reduzierte sich die Zahl der Arbeitnehmer auf 26.

Einen weiteren Handwerksbetrieb, ein Sägewerk mit Zimmerei, gründete der Zimmermeister Bierwirth aus Görzhain im Jahr 1925. Der Betrieb lag zunächst an der Straße nach Breitenbach und stand später am Bahnhof. Fünf Sägewerker und Zimmerleute arbeiteten hier.

Auch das Kleingewerbe entwickelte sich in den Jahren 1924 bis 1929 erfreulich. So gab es drei Gaststätten, vier Herrenschneider, sieben Viehhandlungen, drei Schreinereien, drei Schmieden, zwei Schuhmachereien, vier Butter-, Eier-, Wild- und Geflügelhandlungen, drei Lebensmittelgeschäfte, eine Metzgerei, zwei Wagner und Stellmacher, zwei Samenhandlungen, ein Elektrogeschäft, eine Sattlerei, eine Kohlenhandlung, ein Malergeschäft, eine Kraftfahrzeugwerkstatt und Fahrradhandlung und eine Küferei.

All diese kleinen Betriebe verdanken ihre Existenz letztlich der Einführung der Elektrizität in den Jahren 1920 bis 1922. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute mit elektrischer Energie umgehen, lässt uns vergessen, dass gerade erst 60 Jahre vergangen sind, seit sie in unserem Gebiet Einzug hielt.

An dieser Stelle sei noch einmal an die Gründung der Raiffeisengesellschaft im Jahre 1881 erinnert, die ursprünglich als landwirtschaftliche Selbsthilfeorganisation gegründet worden war und heute einen großen Bereich im Waren- und Geldgeschäft abdeckt.

Der oben beschriebene erfreuliche wirtschaftliche Aufschwung erhielt einen bösen Rückschlag durch die Weltwirtschaftskrise, die mit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse am Freitag, den 13. Oktober 1929 begann („Schwarzer Freitag“). Die verunsicherte Bevölkerung kündigte die Spareinlagen, die Banken verloren ihre Liquidität und waren so außerstande, die von der Wirtschaft dringend benötigten Kredite zu erteilen. Viele Unternehmen gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, stellten die Produktion ein oder gingen in Konkurs.

Die daraufhin einsetzende Arbeitslosigkeit großen Umfanges, über Jahre noch begünstigt durch die fortschreitende Mechanisierung der Betriebe, wuchs schließlich auf 6,5 Millionen Bürger an. In Folge fehlender sozialer Absicherung bildeten sie den Zündstoff sich abzeichnender politischer und gesellschaftlicher Veränderungen.

Das dritte Reich

An dieser Stelle kann das Phänomen des aufkeimenden und sich entwickelnden Nationalsozialismus nicht grundsätzlich geklärt werden. Die Massenarbeitslosigkeit und die indirekt davon Betroffenen in Handel und Gewerbe bildeten aber ohne Zweifel in der zerstrittenen Parteienlandschaft der jungen Demokratie den Nährboden für radikale Ideen.

Adolf Hitler, der führende Repräsentant der NSDAP, verstand es, die verunsicherten Massen, die in diesem Chaos die Lösung bei einem „starken Mann“ vermuteten, in seinen Bann zu schlagen. Der Weg führte, über zunächst ständige Wahlen, schließlich zur Machtergreifung Hitlers und der NSDAP am 30. Januar 1933. Mit der Machtübernahme und dem darauf folgenden Verbot aller anderen Parteien außer der NSDAP war die erste deutsche Demokratie gescheitert. Dass die bürgerlichen Freiheiten durch die Diktatur immer maßgeblicher beschnitten wurden, machte sich in der Gemeinde Ottrau zunächst nicht so stark bemerkbar. Es gab – mit einer Ausnahme (und das war erst im Jahre 1938) – keine politischen Verfolgungen oder Verhaftungen aus politischen Gründen.

Ganz im Gegenteil, es erfüllte sich die Hoffnung vieler Deutscher und selbstverständlich auch der Gemeindemitglieder auf schnelle wirtschaftliche Besserung. Die neue Regierung holte durch Arbeitsbeschaffungsprogramme Millionen Arbeitslose in kurzer Zeit von der Straße und schien ihre Wahlversprechen zu halten.

Für unsere Gemeinde wirkte sich beispielsweise der Bau der Autobahn von Frankfurt nach Kassel in den Jahren 1936 bis 1938 so positiv aus, dass es keine Arbeitslosen mehr gab.

Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Einrichtung des vorerst freiwilligen Arbeitsdienstes wurden als „Beschäftigungsprogramme“ für junge Leute zunächst als sinnvoll angesehen.

Im Jahre 1934 wurde das Erbfolgegesetz erlassen. Danach durften landwirtschaftliche Anwesen ab 7,5 ha im Erbfalle nicht mehr geteilt werden. In Ottrau fielen 22 und in Kleinropperhausen sechs landwirtschaftliche Betriebe unter diese Maßnahme. Wenn das Gesetz auf den ersten Blick auch die Absicht verfolgte, das Überleben landwirtschaftlicher Betriebe sicherzustellen, so verbarg sich dahinter doch der Plan, in der Versorgungsfrage autark zu werden. Es wurden Ortsbauernschaften unter Vorsitz eines Ortsbauernführers eingerichtet, um die landwirtschaftliche Produktion zu optimieren, zu koordinieren und von Importen unabhängig zu machen.

Die erst im Jahre 1938 abgeschlossene Umlegung – auch Flurbereinigung genannt – wirkte sich auf die Landwirtschaft in unseren Gemeinden sehr vorteilhaft aus. Der früher oft im gesamten Gemarkungsgebiet verteilte Besitz der einzelnen Höfe wurde, unter Berücksichtigung der Bodenqualität, in wenige größere Pläne zusammengefasst. Zudem wurde ein umfangreiches Wegenetz angelegt. Dem Landwirt war es nunmehr möglich, Bestellung, Bearbeitung und Ernte rationeller, individuell und ohne die vorher notwendige Rücksicht auf die Nachbarn vorzunehmen.

Die Streitereien verstummten endgültig, als die damals noch nicht abzusehende Mechanisierung in der Landwirtschaft diese Maßnahme als sinnvoll rechtfertigte.

Zwei erfreuliche, festliche Ereignisse fielen in diese Zeit: Unter Bürgermeister Johannes Vey, der die Nachfolge des im Jahre 1937 verstorbenen Johannes Geisel angetreten hatte, wurde dem Dichter Dr. hc. Wilhelm Schäfer, der am 20. Januar 1868 in Ottrau geboren worden war, anlässlich seines 70sten Geburtstages die Ehrenbürgerwürde verliehen. Wilhelm Schäfer, ein Meister der Anekdote, lebte später im Rheinland und am Bodensee.

Der Festakt, verbunden mit der Dichterlesung, wurde seinerzeit sogar im Rundfunk übertragen. Im Rahmen dieser Rundfunksendung wurden auch Interviews mit Verwandten des Jubilars gesendet.

Das zweite Ereignis war die Einweihung des Ottrauer Schwimmbades am 23. Juli 1939, das sich zu einem großen Volksfest gestaltete.

Ein Schwimmbad war für die damalige Zeit, für Gemeinden unserer Größe, eine Sensation.

Ottrauer Schwimmbad

Die Abschaffung der Demokratie und die Gesetze der neuen Machthaber wurden im dörflichen Leben dieser Zeit kaum als einschränkend empfunden. Ganz im Gegenteil, die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung und die Wiedererlangung von Achtung und Respekt in den Augen der übrigen Welt, erfüllten auch die dörflichen Bürger mit Stolz. Das erste Unbehagen kam auf, als das Regime immer neue Ansprüche auf bis dahin dem Reich nicht zugehörige Territorien erhob.

Das Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze, die sich einseitig gegen die Juden in Deutschland richteten, war schon fast wieder vergessen, als die Ereignisse der Reichskristallnacht vom 9. November 1938 den kritischen Bürger aus seiner Ruhe schreckten. Im Gegensatz zu vielen Nachbargemeinden, wo jüdische Mitbewohner verfolgt und ihr Eigentum zerstört wurde, blieben die jüdischen Mitbewohner der Gemeinde Ottrau unbehelligt. Hans Euler weiß zu erzählen: „So lebten bis 1939 acht jüdische Familien in Ottrau. Sie waren Kauf- und Handelsleute und verfügten über eine eigene Synagoge, die 1939 von der Gemeinde erworben und an einen Privatmann weiterveräußert wurde.“ Durch den immer stärker werdenden allgemeinen Druck sahen sich acht der ehemals 18 Ottrauer Bürger jüdischen Glaubens veranlasst, schon vor Ausbruch des 2. Weltkrieges ihre Heimat zu verlassen und in die Vereinigten Staaten oder in das benachbarte Ausland zu emigrieren. Die Verbliebenen wurden im Jahre 1944 deportiert, zwei Jüngere überlebten und haben nach dem Krieg ihre alte Heimat noch einmal besucht.1

1 HM: Es sind unter anderem Namen wie Haune Levi, Mendel Levi, Heskel Levi, Meier Levi, Salomon Plaut (siehe auch nächste Seite), Heinemann Levi, Levi Levi und Paul Levi überliefert

Prozess gegen jüdischen Metzger 1934

Der 2. Weltkrieg

Der Beginn des 2. Weltkrieges am 1. September 1939 zerstörte auch die letzten Illusionen über die Ziele der Machthaber. In den folgenden viereinhalb Jahren verwickelte sich Deutschland in den verheerendsten Krieg aller Zeiten. Alle Länder Europas waren bald direkt oder indirekt in die Kämpfe eingebunden. Bis auf den afrikanischen Kontinent reichten die Kriegshandlungen und zum Schluss waren die USA auf der einen und Japan auf der anderen Seite mitbeteiligt in diesem von allen Seiten gnadenlos geführten Krieg.

129 Männer aus Ottrau und zwölf aus Kleinropperhausen wurden eingezogen. Das dörfliche Leben veränderte sich tiefgreifend. Fehlende Arbeitsplätze in der Landwirtschaft versuchte man durch den Einsatz von Kriegsgefangenen aus Polen und Frankreich zu ersetzen. Auch auf dem Land waren im Verlauf des Krieges zunehmend Einschränkungen hinzunehmen. Der Verdunklungszwang engte die Bewegungsfreiheit ein und erschwerte die Arbeit auf den Höfen. Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs waren rationiert und nur gegen Bezugsschein erhältlich.

Im November 1943, nach der Schlacht von Stalingrad, begann sich die deutsche Niederlage abzuzeichnen. Die amerikanisch-englische Invasion im Juni 1944 markierte an der Westfront die Wende. Der Bombereinsatz legte viele Teile deutscher Großstädte in Schutt und Asche. Die mehr und mehr gefährdete Stadtbevölkerung wurde, so weit wie möglich, aufs Land evakuiert. Die Gemeinden Ottrau und Kleinropperhausen nahmen nacheinander evakuierte Familien aus Bremen, Ostfriesland, Kassel und dem Ruhrgebiet auf.

Gegen Ende des Krieges 1944 wurden auch noch Saarländer in den beiden Gemeinden untergebracht. Wenn auch diese Unterbringung staatlich verordnet wurde, so war es doch erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit man diese Menschen aufnahm. Die einheimische Bevölkerung bewies ein Herz für jene, denen das Kriegsschicksal soviel mehr genommen hatte.

Weihnachten 1944 wurde die Ottrauer Bevölkerung Zeuge eines dramatischen Luftkampfes. An diesem strahlendblauen Wintertag überraschten amerikanische Begleitjäger eine Staffel deutscher Jagdflugzeuge, deren Piloten noch sehr unerfahren waren. Während die Amerikaner nicht ein einziges Flugzeug verloren, wurden fast alle deutschen Flugzeuge abgeschossen. Noch im März 1945 bot man eine Volkssturmeinheit auf, die zum Glück nur einen Panzergraben aushob, dann aber dem übermächtigen Gegner nicht gegenübertrat.

Während des Krieges war das gesellschaftliche und kommunale Leben gelähmt. In den viereinhalb Kriegsjahren fanden insgesamt nur zwölf Sitzungen des Gemeinderates statt. Die letzte ordentliche Sitzung am 18. März 1943 hatte als einzigen Tagesordnungspunkt den Haushalt des Jahres zu beschließen. Um einen Vergleich zu heutigen Summen zu ermöglichen, seien hier die Zahlen genannt: Der Haushalt 1943 schloss mit 23.720,- RM in Einnahme und Ausgabe ab.

Am 30. März 1945 rückten amerikanische Panzerverbände, über den Bechtelsberg kommend, in Ottrau ein. An der Ecke gegenüber dem Gasthaus Wahl, wo sich der frühere Weitzelsche Hof befand, wurde von einer versprengten deutschen Einheit ein amerikanisches Kettenfahrzeug mit einer Panzerfaust beschossen. Die amerikanischen Truppen zogen sich sofort zurück und gingen am Osthang des Bechtelsberges in Stellung. Infanterieeinheiten durchkämmten den ganzen Ort.

Tragischerweise fanden bei diesen letzten Kämpfen noch zwei deutsche Soldaten den Tod. Sie wurden auf dem Ottrauer Friedhof beigesetzt:

Im Jahr 2008 von HM fotografiert

Am 8. Mai 1945 kapitulierten die deutschen Streitkräfte bedingungslos. 46 Mitbürger hatten während des Krieges ihr Leben verloren:

Aus Ottrau:

Heinrich Kurz
Heinrich Roth
Heinrich Weppler
Kaspar Bernhardt
Johannes Degenhardt
Heinrich Stippich
Johannes Schäfer
Johann Jost Pietsch
Kurt Roth
Heinrich Schnell
Karl Weitzel
Ernst Frische
Heinrich Stumpf
Walter Dietrich
Karlheinz Straube
Paul Thamer
Johannes Schäfer
Heinrich Gischler
Heinz Gischler
Friedrich Lötzerich

 

Heinrich Willemse
Johannes Dietz
Willi Hartung
Johann Jost Battenberg
Wilhelm Schmitt
Heinrich Gümpel
Johannes Kurz
Willi Battenberg
Konrad Mangold
Konrad Stumpf
Johann Konrad Bretthauer
Edmund Beyer
Heinrich Ploch
Valentin Wahl
Hermann Schmerer
Konrad Fink
Fritz Linke
Margarete Merle
Johann Jost Schreiber
Heinrich Schreiber

Aus Kleinropperhausen:

Johannes Falk
Johannes Oppermann
Johann Jost Euler
Johannes Schwalm
Ernst Kalbfleisch

Unsere Gemeinden werden ihnen ein ehrenvolles Andenken bewahren.

Die Nachkriegszeit

Nach dem Krieg wurde Deutschland „amputiert“. Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Oberschlesien fielen an Polen, der nördliche Teil Ostpreußens wurde dem russischen Staatsgebiet zugeschlagen. Im Westen ging das erst Anfang des Krieges eingedeutschte Elsass wieder an Frankreich zurück. Damit war mehr als ein Drittel des ehemaligen Reichsgebietes von 1937 verloren.

Die Zwangsbewirtschaftung und der Einkauf auf Lebensmittelkarten gingen zunächst auch nach 1945 weiter. Die Reichsmark war völlig wertlos geworden. Währungseinheit wurde in dieser Zeit die Zigarette. Die ausgehungerte Bevölkerung der Städte veranstaltete sogenannte „Hamsterfahrten“. Die Reste der noch vorhandenen Habe wurden gegen Grundnahrungsmittel eingetauscht.

Noch Monate nach der Kapitulation bestand für die Bevölkerung eine nächtliche Ausgangssperre. Elektrischer Strom stand in dieser Zeit nur stundenweise zur Verfügung. Das Verkehrswesen sowie Post und Telefon waren völlig zusammengebrochen und es dauerte bis in den Spätherbst 1945, ehe erste Ansätze einer Wiederaufnahme der oben genannten Dienste sichtbar wurden.

Wie die Reichsverwaltung war natürlich auch die Gemeindeverwaltung funktionsunfähig. Nur der Sport funktionierte sehr bald wieder. So wurde bereits im Sommer 1945 das erste Fußballfreundschaftsspiel nach dem Krieg auf dem provisorischen Sportplatz im „Dreckläppchen“ ausgetragen.

Die deutschen Gebiete standen unter der Verwaltungshoheit der Siegermächte. Ottrau gehörte zur amerikanischen Besatzungszone, aus der sich, im Zusammenschluss mit der englischen und französischen Besatzungszone, in den folgenden Jahren die heutige Bundesrepublik entwickelte. In der sowjetischen Besatzungszone entstand ein zweiter deutscher Staat, die DDR.

Alle Beamten und Angestellten des ehemaligen Deutschen Reiches, die der NSDAP angehört hatten, mussten sich, bevor eine Wiedereinstellung erfolgte, der von den Amerikanern per Gesetz verordneten Entnazifizierung unterziehen. Da unter dem Hitler-Regime die Beamten und Angestellten, wenn sie nicht persönliche Nachteile erleiden wollten, automatisch zur Mitgliedschaft in der NSDAP gezwungen worden waren, fehlten jetzt in der Verwaltung fast alle Fachleute. Es muss hier erwähnt werden, dass durch die Durchführung der Entnazifizierung viele anständige Bürger unseres Landes wegen der pauschalen Vorwurfes der Mitschuld an den jetzt erst überschaubar gewordenen Verbrechen des NS-Regimes an den Rand ihrer Existenz gebracht wurden.

Ihre erste Oberkommandantur errichteten die Amerikaner in Neukirchen. Von dort aus überwachten sie das öffentliche Leben. Für die fast durchweg amtsenthobenen Bürgermeister wurden kommissarisch Personen als Bürgermeister eingesetzt, die der Partei nicht angehört hatten. Die Amerikaner beriefen für Ottrau Herrn Johannes Stein als kommissarischen Bürgermeister, der sich bemühte, die Spannungen zwischen Amerikanern und Deutschen abzubauen und dem es mit zu verdanken ist, dass in der kurzen Zeit seiner Amtsführung niemand zu Schaden kam.

Ende Mai 1945 nahm die ehemalige Deutsche Reichsbahn auf den Hauptstrecken einen Befehlsdienst auf. Die Evakuierten, deren städtische Wohnungen nicht zerstört worden waren, nutzten diese erste Möglichkeit, um nach Hause zurückzukehren. Die Wohnungsnot erfuhr dadurch jedoch nur eine kurzfristige Linderung, denn im November 1945 kamen zunächst etwa hundert Sudetendeutsche nach Ottrau. Sie waren aus ihrer Heimat nach Österreich geflüchtet und dort erneut ausgewiesen worden.

Zusammen mit den Evakuierten und Flüchtlingen aus Gablonz und Umgebung und einer Gruppe ukrainischer Volksdeutscher beherbergten die Gemeinden Ottrau und Kleinropperhausen mehr als 300 Heimatlose. Zum Vergleich: Die Einwohnerzahl in Ottrau stieg von 650 im Jahr 1939 auf 1050 im Jahr 1946 und in Kleinropperhausen im gleichen Zeitraum von 70 auf 120 Personen an. Die Heimatvertriebenen in unseren Gemeinden zu integrieren, stellte große Anforderungen an alle Beteiligten. Die Flüchtlinge, die ihre Heimat unter Zurücklassung fast ihrer gesamten Habe verlassen hatten, mussten nicht nur untergebracht, sondern auch mit Lebensmitteln und dem unbedingt notwendigen Hausrat versorgt werden. Gerade weil sich die Einheimischen bewusst waren, wieviel mehr der Krieg den Flüchtlingen genommen hatte, gelang die Eingliederung fast reibungslos. Man rückte zusammen, teilte, was zu teilen war und arrangierte sich, so gut es ging: Spannungen zwischen Einheimischen und den Flüchtlingen waren die Ausnahme und nicht die Regel.

Eine dauerhafte Bleibe fanden diese Menschen in unseren Gemeinden jedoch nicht. In dem vorwiegend landwirtschaftlich orientierten Gebiet konnte den Flüchtlingen keine Möglichkeit geboten werden, sich eine neue Existenz aufzubauen. Die vorübergehende Eingliederung der Flüchtlinge erfolgte in Zusammenarbeit zwischen Kreisbehörde und Gemeinden, denn in Ziegenhain amtierte nach kurzer Zeit wieder ein Landrat mit dem Kreisausschuss. Die von den Amerikanern eingesetzten kommissarischen Bürgermeister wurden jetzt durch Bürgermeister ersetzt, die der Kreisausschuss und der Landrat benannt hatten. Bereits 1945 trat der so ernannte neue Ottrauer Bürgermeister Johannes Ploch sein Amt an und am 25. Juni 1945 konstituierten sich eine neue Gemeindevertretung und ein Gemeindevorstand aus Ottrauer Bürgern. Das Gleiche geschah in Kleinropperhausen am 01. Juli 1945. Die Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung war ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg in einen demokratischen Rechtsstaat.

In ihrer Sitzung am 03. August 1945 wiesen die Gemeindevertreter das Grundstück „die Kirchäcker“ als Baugrundstücke aus. Es entstanden 26 je 600 qm große Bauplätze. Sand und Steine waren in dieser Zeit ausreichend, Zement und Bauholz dagegen nur in beschränktem Umfang vorhanden. Und, obwohl alle anderen zum Bau notwendigen Materialien nur gegen Bezugsschein oder auf dem Kompensationswege zu erhalten waren, begann jetzt schon eine rege Bautätigkeit. Als Beispiel für alle sei hier erwähnt, dass Frau Nafziger ihren aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Mann in einem mit Nachbarschaftshilfe erstellten neuen Behelfsheim begrüßen konnte.

Bauern und Landwirte litten in dieser Zeit noch unter einer Plage: den Wildschweinen. Begünstigt durch ungenügende Bejagung während der Kriegszeit und durch Einzug der Jagdwaffen beim Einmarsch der Amerikaner hatten sie sich stark vermehrt und gingen in den Feldern zu Schaden. Im Hegestrauch wurde ein Saufang errichtet, in dem einmal eine ganze Rotte gefangen wurde.

Ab August 1945 nahm die Post ihre Tätigkeit wieder auf und ab September konnte auch wieder telefoniert werden. Wenn uns damals die Zeit, in der nur der Behelf funktionierte, sehr lang vorkam, so kann man doch rückblickend sagen, dass, gemessen an der Dauer des Krieges und seiner allgemeinen Zerstörung, die Normalisierung des ländlichen Lebens erstaunlich schnell vor sich ging.

Die Wiedereröffnung der Schulen machte dagegen erhebliche Schwierigkeiten. Wie in der Verwaltung waren fast alle Lehrer Mitglied der jetzt verbotenen NSDAP gewesen und konnten ihren Beruf erst nach erfolgter Entnazifizierung wieder aufnehmen. Da auch mit wenigen Ausnahmen das Lehrmaterial, in dem die Amerikaner nationalsozialistisches Gedankengut vermuteten, konfisziert worden war, gestaltete sich der Unterricht, der erst im Herbst 1945 wieder aufgenommen wurde, sehr beschwerlich.

Anfänglich wechselten die Lehrkräfte häufig und erst ab September 1946 konnte man von einem geregelten Schulbetrieb sprechen. Als Schulgebäude dienten das Untermerlische Wohnhaus und der an die heutige Gemeindeverwaltung angehängte Schulsaal, dessen Platz jetzt die Kreissparkasse einnimmt. Der Unterricht wurde zweiklassig durchgeführt und zwar, jeweils vier Klassen umfassend, in einem der beiden Gebäude. Die durch Zuzug von Heimatvertriebenen stark angewachsene Schülerzahl erzwang wegen Raummangels die Einrichtung einer weiteren Klasse. Da sich jetzt drei Klassen auf zwei Schulräume aufteilen mussten, ergab sich zwangsläufig ein Schichtunterricht, der auch die Nachmittagsstunden umfasste.

Am 20. Januar 1946 fanden die ersten freien und geheimen Wahlen für Gemeinde- und Kreisparlamente statt. Das Kreisparlament wählte im Anschluss einen Landrat und die Stadt- bzw. Gemeindeparlamente ihren Bürgermeister. In Ottrau und Kleinropperhausen wurden die bereits amtierenden Bürgermeister durch diese Wahlen auch demokratisch legitimiert und in ihrem Amt bestätigt. Im Wesentlichen waren es die gleichen Parteien wie heute, die sich damals um die Gunst der Wähler bemühten, nämlich die SPD, die CDU und die FDP. Ganz repräsentativ konnte diese Wahl jedoch nicht sein, weil alle ehemaligen Mitglieder der NSDAP und anderer nationalsozialistischer Organisationen von der Wahl ausgeschlossen worden waren. Die Legislaturperiode dieser neuen Parlamente wurde auf zwei Jahre befristet.

Die neugewählte Gemeindevertretung Ottraus beschloss unter Johannes Ploch am 01. April 1946 den Bau einer zentralen Wasserversorgungsanlage. Zwei Waggons Wasserleitungsrohre konnten noch für Reichsmark erstanden werde. Am 19. Mai 1947 wurde der Bau einer neuen Volksschule und am 01. Juni 1948 der Bau eines Sportplatzes am heutigen Standort beschlossen.

Am 20. Juni 1948 trat über Nacht die von allen erwartete Währungsreform in Kraft. Alle Sparguthaben wurden auf 10 % und weniger ihres Wertes zusammengestrichen, die Reichsmarkbanknoten waren abzuliefern. Die Erstausstattung in Deutschen Mark betrug pro Kopf der Bevölkerung 40,00 DM, weitere 20,00 DM wurden später ausgezahlt. Jetzt geschah Erstaunliches. Waren, die bisher nur auf den schwarzen Markt und zu horrenden Preisen oder im Tausch gegen andere Güter erworben werden konnten, waren plötzlich überall gegen D-Mark erhältlich.

Das Datum der Währungsreform war der Start für das im Nachhinein so bezeichnete Wirtschaftswunder. Es war aber auch unübersehbar ein weiteres Zeichen der deutschen Teilung. Die Siegermächte hatten in den von ihnen besetzten Zonen schon bald nach Kriegsende begonnen, zukünftige Staatswesen ins Leben zu rufen, die ihren Vorstellungen entsprachen. So arbeiteten die Politiker im westlichen Teil des besiegten Landes an einem Grundgesetz und einem Mehrparteiensystem westlicher Prägung, in der sowjetischen Zone wurde die Bildung einer Einheitspartei vorangetrieben. Am 23. Mai 1949 wurde im Westen Deutschlands das Grundgesetz proklamiert. Am 14. August 1949 erfolgte die erste Wahl zum deutschen Bundestag, der seinerseits am 15. September 1949 Konrad Adenauer zum ersten Kanzler der neuen Bundesrepublik wählte. Am 7. Oktober wurde im Gegenzug in Ostberlin durch einstimmigen Beschluss des „Deutschen Volksrates“ der Staat der Sowjetzone, die Deutsche Demokratische Republik, proklamiert.

Nach der Währungsreform war die Zwangsbewirtschaftung aller Güter und Waren und insbesondere der Lebensmittel aufgehoben worden. Die Arbeitslosenzahl, zu jener Zeit noch erheblich, sank rapide, weil die heimische Wirtschaft zum einen jetzt wieder Arbeitskräfte einstellte und zum anderen der Wiederaufbau der zerstörten Großstädte Arbeitskräfte anzog.

Nach einem kleinen Geplänkel zwischen den Gemeinden Ottrau und Kleinropperhausen über den Standort einer zukünftigen Schule, wurde am 12. Juli 1949 mit dem Bau begonnen. Am 30. Juli 1950 konnte sie eingeweiht werden. Sie trägt den Namen des Ottrauer Ehrenbürgers Wilhelm Schäfer, der trotz seines hohen Alters an den Einweihungsfeierlichkeiten teilnahm. Wilhelm Schäfer verstarb am 19. Januar 1952 und wurde auf seinen Wunsch hin auf dem alten Friedhof in Ottrau beigesetzt.

Wilhelm Schäfer bei der Einweihung der Wilhelm-Schäfer-Schule

Nach langer Vorplanung baute die Gemeinde in den Jahren 1954 bis 1958 eine Gemeindewasserversorgungsanlage. An diese Anlage sind alle Hausgrundstücke des Dorfes, außer dem Bahnhof, angeschlossen worden. Die Wasserversorgungsanlage wurde gemeinschaftlich mit der Gemeinde Immichenhain, die unter erheblichen Wasser-schwierigkeiten litt, errichtet. Zum Verständnis sei erwähnt, dass an die alte Ottrauer genossenschaftliche Wasserversorgung zwar ein Großteil der Grundstücke im Unterdorf angeschlossen, die Bilz jedoch wegen des fehlenden Gefälles unversorgt war. Einige der dortigen Grundstückseigentümer hatten eigene Brunnen niedergebracht und eine ganze Anzahl von Hausbesitzern musste ihr tägliches Wasser für Mensch und Vieh mit dem Joch und Eimern transportieren.

1957 wurde ein neues Feuerwehrgerätehaus gebaut und das alte wegen Baufälligkeit abgebrochen. Dieses neue Gerätehaus musste aber schon 1969 dem Bau der Mehrzweckhalle weichen. 1959 erhielt die Freiwillige Feuerwehr, bisher noch mit Handpumpen ausgerüstet, eine Motorspritze.

Im gleichen Jahr gründete sich eine Gefriergenossenschaft. Durch die Einführung der neuen Gefriertechnik gestaltete sich von nun an die Konservierung von Lebensmitteln problemlos. Die Gefrieranlage wurde auf dem Grundstück der abgerissenen Schulscheune errichtet. Das Obergeschoss war ursprünglich als Hebammenwohnung ausgebaut, jedoch nie als solche genutzt worden. Die Gemeinde vermietete die Wohnung, meines Wissens1 als einzige Wohnung in der Bundesrepublik, mit „Fußbodenkühlung“.

1960 wurde der Bau der Ortskanalisation begonnen, eine umfangreiche Maßnahme, wenn man bedenkt, dass bis dahin ein Großteil der Abwässer oberirdisch abfloss. Im selben Jahr errichtete man auf dem Friedhof ein neues Ehrenmal für die Ottrauer Gefallenen beider Weltkriege. Die Gemeinde Kleinropperhausen baute 1962 einen Glockenstuhl auf ihren Friedhof und erwarb dazu eine gebrauchte Glocke.

Für die Gewinnung von Kriegsmaterial hatte die Gemeinde Ottrau während des Krieges zwei ihrer drei Glocken abliefern müssen. Spenden und Zuschüsse von Kirche und politischer Gemeinde ermöglichten im Jahre 19642 die Anschaffung dreier neuer Glocken.

1 Woldemar Stumpfs Wissen
2 HM: Lt. Angaben von Pfarrer Schmitt in der Kirchenchronik wurden die Glocken 1959 angeschafft

Ankunft der neuen Kirchenglocken; links im Bild Pfarrer Müller

Das Land Hessen begünstigte ab Anfang der sechziger Jahre die Aussiedlung landwirtschaftlicher Betriebe aus beengten Ortslagen in die Feldmark. Der Landwirt Schmitt errichtete daraufhin einen neuen Hof am Bahnhof Ottrau1 und Landwirt Ochs baute seinen Birkenhof vor dem „Höbbel“. Der frühere Weitzelsche Hof, damals schon von Landwirt Illgen bewirtschaftet, wurde im Zuge der innerörtlichen Straßenbereinigung abgerissen und Illgen übernahm den Althof des Landwirtes Ochs. Im Zuge der Bodenreform wurde der v. Schwertzellsche Gutshof aufgelöst und zum Großteil von Landwirt Bohl gekauft. Einige Parzellen erwarben andere landwirtschaftliche Betriebe zur Aufstockung.

Der Beschluss der Gemeindevertretung von 1962 über den Ausbau der gemeindlichen Innerortsstraßen führte in der Folge zu einer ungemein vorteilhaften Umgestaltung des Ottrauer Ortsbildes. 1963 wurde eine zweite Gefrieranlage errichtet.

Schon am 07. März 1962 hatte die damalige Gemeindevertretung den Gemeindevorstand dazu ermächtigt, die Planung einer Mittelpunktschule voranzutreiben. Als Einzugsgemeinden war an Ottrau, Kleinropperhausen, Lingelbach, Berfa, Hattendorf, Immichenhain, Schorbach, Weißenborn und Görzhain gedacht worden. Die aufsichtsbehördliche Genehmigung wurde jedoch verzögert, obwohl die erforderliche öffentlich-rechtliche Vereinbarung am 13. Dezember 1963 von der Gemeinde genehmigt worden war. Bei einer vom Landrat einberufenen gemeinsamen Sitzung aller beteiligten Gemeindevertretungen und Gemeindevorstände zogen dann die Ortschaften Lingelbach und Berfa bedauerlicherweise ihre Zusagen zurück.

Eine Mittelpunktschule hätte der Gemeinde Ottrau natürlich Auftrieb gegeben. So aber wurden die Schulpflichtigen der späteren Großgemeinde Ottrau dann auf die Mittelpunktschulen Neukirchen und Oberaula verteilt. Heute lässt sich leicht feststellen, dass alle Gemeinden mit Mittelpunktschulen eine stetige Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen hatten, während die von den Schulen entblößten Gemeinden in Stagnation oder Rückschritt verfielen.

1963 errichtete die Raiffeisenkasse am Bahnhof Ottrau ein neues Bank- und Verwaltungsgebäude mit Geschäftsführerwohnung und ein neues Hauptlagerhaus mit Silo. Im gleichen Jahr, nach Fertigstellung der Wasserleitung und Ortskanalisation, wurde der Ausbau der Ortsdurchfahrt durchgeführt. Drei Gebäude, die an der heutigen Neukirchener Straße gegenüber der Gemeindeverwaltung standen, wurden abgerissen, außerdem der schon oben erwähnte Weitzelsche Hof. An der Ortsausfahrt nach Breitenbach mussten drei weitere Gebäude der Maßnahme weichen.

Das Wahrzeichen Ottraus, der Pfaffenborn, wurde in den Vorgarten des damaligen Pfarrhauses verlegt, damit die Straße verbreitert werden konnte. Wie schon zuvor vermerkt, haben diese Arbeiten das Gesicht Ottraus sehr positiv verändert.

Der Kirchenvorstand beschloss 1963 den Neubau eines Pfarrhauses. Die politische Gemeinde Ottrau zahlte für diesen Neubau 40.000 DM. Kleinropperhausen 4.000 DM und Görzhain 20.000 DM – das waren erhebliche Summen für finanzschwache Gemeinden, die selbst noch Nachholbedarf in allerlei Bauvorhaben hatten.

Die Gemeinde Kleinropperhausen erwarb 1964 ein Grundstück von ca. 700 qm und erstellte darauf ein Feuerwehrgerätehaus, an das noch eine Gefrieranlage angeschlossen wurde. Ein späterer Anbau erweiterte das Gebäude um einen Versammlungsraum, der für Familienfeiern u. ä. vorgesehen war.

Ottrau beschloss am 22. Januar 1963 den Bau einer Mehrzweckhalle und die Modernisierung des Schwimmbades Ottrau. Der Antrag für den Bau der Halle wurde ungewöhnlich lange „bearbeitet“. Erst nach Anfrage beim Hessischen Innenminister kam Bewegung in die Angelegenheit. Im Jahre 1969 konnte endlich mit dem Bau begonnen werden und am 30. Oktober 1970 war die feierliche Einweihung. Das Schwimmbad wurde neu gefliest und mit einer Wasserumwälz- und Aufbereitungsanlage ausgestattet. Da der Anforderung der Landesregierung auf eine andere Dimensionierung des Bades nicht entsprochen werden konnte, entfielen für die Gemeinde alle Zuschüsse.

Die Bewohner Kleinropperhausens bezogen ihr Wasser zu diesem Zeitpunkt immer noch aus eigenen Brunnen, die nun von den Gesundheitsbehörden wegen ihrer Nähe zu Dungstätten und Jauchegruben verworfen worden. So schlossen sich die Gemeinden Kleinropperhausen und Schorbach im Oktober 1965 in einem Wasserleitungsverband zusammen. Eine Rohrleitung von Schorbach nach Kleinropperhausen beendete dann den Wassernotstand in dieser Gemeinde.

Im Januar 1968 wurde die „Vierherrenstraße“, so genannt, weil sie im gemeinsamen Eigentum von Ottrau, Kleinropperhausen, der Hessischen Forstverwaltung und der Deutschen Bundesbahn stand, zu einer ordentlichen Landstraße ausgebaut. 1970 wurde Kleinropperhausen durch den Bau einer Umgehungsstraße vom Durchgangsverkehr entlastet.

Die gleich nach dem Krieg in Ottrau ausgewiesenen Baugrundstücke waren inzwischen alle verkauft. Um neue Bauplätze anbieten zu können, wurde das vor dem Lohe gelegene Gelände mit Hilfe des Katasteramtes Ziegenhain, das einen Bauleit- und Bebauungsplan erstellte, als Baugelände ausgewiesen.

Im Jahre 1970 wurde durch den Beschluss des Hessischen Landtages den kleineren Gemeinden die Schulträgerschaft entzogen. Am 20. März 1970 mussten die Gemeindevertretung in Ottrau, am 25. Juli 1970 die in Kleinropperhausen die Auflösung ihres bis dahin gemeinsamen Schulverbandes in einem Auseinandersetzungsvertrag beschließen. Das gesamte Schulvermögen ging in das Eigentum des Landkreises Ziegenhain über. Bei einer eventuellen Auflösung der Schule wird das schulische Eigentum der Gemeinde zurückgegeben.

Der Bau der Mehrzweckhalle hatte den Abriss des neuen Feuerwehrgerätehauses notwendig gemacht. Entgegen dem Gemeindebeschluss vom 22. Mail 1970, das Feuerwehrgerätehaus im Neubaugebiet Lohe neu zu errichten, verfügte der Landrat den Anbau an die Mehrzweckhalle. 1971 wurde dieses Bauvorhaben zügig begonnen, das neue Gerätehaus konnte im Mai 1972 eingeweiht werden.

Um den Raum ausreichend mit elektrischer Energie versorgen zu können, plante die EAM in Kassel, eine große Starkstromleitung von 110 KW zu verlegen. In Ottrau sollte außerdem ein neues Schalt- und Umspannwerk mit Großtransformatoren entstehen. Mit Beschluss vom 21. April 1971 genehmigte die Gemeinde Ottrau den Geländeerwerb und die Errichtung dieser Anlage und stellte damit die künftige Stromversorgung sicher. Im gleichen Jahr wurde, an das Mehrzweckhallen-Schwimmbadgelände anschließend, ein Kinderspielplatz angelegt.

Die rege Bautätigkeit nach dem Krieg belegt die nachfolgende Aufstellung:

In der Gemeinde Ottrau wurden
94 Gebäude neu gebaut,
36 ausgebaut und
17 umgebaut.

In der Gemeinde Kleinropperhausen wurden
3 Gebäude neu,
6 aus- und
3 umgebaut

Gegenüber dem Jahre 1939 hat sich damit die Bausubstanz um mehr als 50 % erhöht.

Durch die Einführung der Gewerbefreiheit nach 1940 war die Gründung einer gewerblichen Existenz wesentlich erleichtert worden. Jedermann konnte ein ihm zusagendes Gewerbe eröffnen, ohne einen Meisterbrief oder das Recht zur Lehrlingsausbildung nachweisen zu müssen. In Ottrau wurden im Laufe des Jahres die nachfolgend aufgeführten Gewerbearten betrieben.

1 HM: Der alte Hof in der Bahnhofstrasse wurde von Helmut Krey übernommen, wobei der Stall zu einer Autowerkstatt umgebaut wurde

Gewerbearten

Textilgeschäft und Maßschneiderei
Papier- und Schreibwaren, Buchhandlung
Gemischtwarenhandlung
Kraftfahrzeug-, Fahrrad- und Mähmaschinengeschäft
Versandhandel
Schuhmacher
Gaststätten, Cadé und Bäckerei
Herren- und Damenfrisür
Sattler und Polsterer
Eleektro- und Radiogeschäft
Mietwäscherei
Strickerei
Getränkegroßhandel
Handelsvertretungen
Sandgrube
Lohndrusch
Ziegelei
Büromaschinen
Anstreicherei
Raststätten
Samenhandlung und Kohlen

Kleinropperhausen

Mühlen
Gaststätten
Pensionen

angem. Betriebe

6
2
1
3
1
1
8
2
2
2
1
1
1
6
1
1
1
1
1
1
1

 

2
1
1

abgem. Betriebe

5
1
1
1
1

6
1
1

1
1

4

1
1



1

 

2
1

Bestand

1
1

2

1
2
1
1
2


1
2
1


1
1
1

 



1

Freie Berufe in Ottrau

Nach 1933 ließen sich aus freien Berufen in Ottrau lediglich ein Architekt und ein Zahnarzt nieder, der seine Praxis aber nur als Filialpraxis betrieb. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Ottrau für einige Zeit in der ganzen Bundesrepublik bekannt, da Herr Neubauer in seinem Verlag H. Neubauer die landwirtschaftliche Zeitschrift „Schlepper, Gerät und Zubehör“ herausgab. Außerdem ließen sich sowohl ein Arzt als auch ein Zahnarzt in Ottrau nieder. Eine Arztpraxis besteht noch heute1, während die Zahnarztpraxis mit dem Tode des Inhabers erloschen ist.

1 HM: 1984 geschrieben

 

Die Gemeinde- und Kreisreform

1970 bildeten sich im Land Hessen Großgemeinden. Sie stellen einen Zusammenschluss mehrerer kleiner Gemeinden zu einer Verwaltungseinheit dar. Dieser Gedanke war nicht originell, denn schon Napoleon hatte, allerdings durch Dekret, solche Gebilde geschaffen. Ottrau war daran interessiert, zur Großgemeinde zu werden, allerdings unter Hinzuziehung der Ortschaften rund um den Bechtelsberg, also Berfa, Hattendorf und Lingelbach sowie eventuell Elbenrod. Diese Absicht ließ sich nicht durchführen, da der Kreis bereits in der Schulfrage seine Position geräumt hatte und im Anschluss die oben genannten Gemeinden an den Kreis Alsfeld, ebenso im Südostteil des Kreises die Gemeinden Breitenbach, Gehau, Machtlos und Hatterode an den Kreis Hersfeld abtrat.

Vom Land Hessen wurde eine Gemeinde- und Kreisreform beschlossen, bei der die Wünsche und Vorstellungen der Bürger nur ungenügend berücksichtigt wurden. Die politischen Gemeinden Ottrau und Kleinropperhausen verloren zum 31. März 1972 im Zuge dieser weitgreifenden Änderung ihre Selbstständigkeit.

„Die Gemeinden Görzhain, Immichenhain, Kleinropperhausen, Ottrau, Schorbach und Weißenborn im Landkreis Ziegenhain werden gemäß § 17 Abs. 2 in Verbindung mit § 16 Abs. 1 und § 12 der Hessischen Gemeindeordnung in der Fassung vom 01. Juli 1960 (GVBI. S. 103) mit Wirkung vom 01. April 1972 zu einer Gemeinde mit dem Namen

O T T R A U“

im Landkreis Ziegenhain zusammengeschlossen.

Wiesbaden, den 13. März 1972

FÜR DIE HESSISCHE LANDESREGIERUNG
DER HESSISCHE MINISTER DES INNEREN

(Bielefeld)“

Diese Urkunde des Hessischen Ministers des Inneren vom 13. März 1972 belegt den Zusammenschluss der Gemeinden GÖRZHAIN, IMMICHENHAIN, KLEIN-ROPPERHAUSEN, OTTRAU, SCHORBACH und WEISSENBORN zur Großgemeinde Ottrau. Mit der Gemeindereform verlagert sich die Chronik der Gemeinde Ottrau und Kleinropperhausen in einen größeren Rahmen. In der Fortführung werden zwar nur Ereignisse aufgeführt, die diese beiden Gemeinden direkt betreffen, jedoch von den anderen Dörfern mitgetragen wurden.

Die Erhaltung des Namens Ottrau verdankt unsere Gemeinde dem Einsatz unseres damaligen Bürgermeisters Hans Ploch. In mühevollen Verhandlungen in Marburg und Wiesbaden hat er die zuständigen Behörden von der Einmaligkeit und der historischen Tradition des Namens Ottrau überzeugt. In dieser Zeit, als so viele andere traditionsreiche Städte- und Ortsnamen zugunsten aussageloser Neuschöpfungen wie Schwalmstadt verschwanden, kann man diesen Einsatz gar nicht hoch genug würdigen. Die Alternative GRENFTAL, von einigen Gemeinden gewünscht, wäre für Ottrau völlig beziehungslos gewesen und, nebenbei, ein sprachliches „Ungeheuer“. Dem damaligen Bürgermeister Ploch wurde allerdings sein Einsatz, den man erst heute richtig einschätzt, schlecht gelohnt. Seine zunächst einstimmig beschlossene Wahl zum Ehrenbürgermeister machte man unter fadenscheinigen Gründen rückgängig.

Die angestrebte bürgernahe Verwaltung erwies sich als Vorwand für eine weitere Bürokratisierung der Verwaltung. Das Gegenteil trat ein. Für den Bürger wurden die Entfernungen größer und der Zeitaufwand höher, denn die folgende Kreisreform vom 31. Dezember 1973 verfügte dann die Zusammenlegung der Altkreise Ziegenhain, Fritzlar-Homberg und Melsungen zum Schwalm-Eder-Kreis. Die Krönungsstadt Heinrichs I. verlor die Kreisverwaltung zugunsten von Homberg, der neuen Kreisstadt des Großkreises. Auch das historische Ziegenhain, ein vormals geschätzter Mittelpunkt, wandelte sich vom vertrauten und mit Leben gefüllten Verwaltungsort zur für viele nun bedeutungslosen Kleinstadt.

Der Zusammenschluss der oben genannten Ortschaften zur Großgemeinde Ottrau hat sich für unsere Heimatgemeinde und ihre wirtschaftliche Entwicklung ebenfalls nicht vorteilhaft ausgewirkt. Der Trend der folgenden Jahre begünstigte jene Gemeinden, die wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage zu Standorten von Haupt- und Gesamtschulen geworden waren. Die Schließung der Dorfschulen beendete ein weiteres Kapitel dörflichen Lebens und nahm kleinen Gemeinden auch ein Stück Seele.

Wie ging es nun in Ottrau weiter? Als erstes beschloss die Großgemeinde am 16. Mai 1975 den Bau eines Kindergartens im Ortsteil Ottrau oberhalb der Wilhelm-Schäfer-Schule. Die neue Gemeindeverwaltung fand ihren Sitz im alten Schulgebäude im Zentrum der Gemeinde. In Zusammenarbeit zwischen Gemeindeverwaltung und der Kreisparkasse Ziegenhain wurde der alte anhängende Schulsaal abgerissen und an seiner Stelle ein Gebäude errichtet, dessen Erdgeschoss von der Kreissparkasse genutzt wird, das Obergeschoss beherbergt die Dienstzimmer des Bürgermeisters und einen Sitzungssaal für den Gemeindevorstand. Im Jahr 1974 wurde die staatliche Müllabfuhr eingerichtet, um die fortschreitende Belastung der Umwelt zu verringern. 1975 erhielten die Straßen unserer Gemeinde zum ersten Mal Namen. Erfreulicherweise hat man keine völlig beziehungslosen Straßennamen erfunden, sondern sich an alte, bisher nicht festgelegte Bezeichnungen gehalten. Ein Raum zur Unterbringung von Sportgerät wird im Jahre 1976 an das Feuerwehrgerätehaus angebaut. Auf dem Friedhof Ottrau wurde, nach Beschluss der Gemeindevertretung vom 17. Juni 1976, eine Leichen- und Aussegnungshalle errichtet. Die einfallslose Architektur hat allerdings bei größeren Teilen der Bevölkerung keine Zustimmung gefunden. Überhaupt teilte die Übernahme so mancher städtischen Gewohnheit in den örtlichen Bereich die Meinungen. Einerseits erschienen sie notwendig, zum anderen kann nicht daran gezweifelt werden, dass mit dem Beginn dieser „Neuzeit“ über Jahrhunderte entstandene dörfliche Gepflogenheiten und Traditionen geopfert wurden.

1977 wurde das alte Gemeindehaus in Kleinropperhausen verkauft und, unter Verwendung des Verkaufserlöses, als Neubau an das bestehende Feuerwehrgerätehaus angebaut. Dieses im Volksmund „Kongresshalle“ genannte Gebäude gibt den Einwohnern des Ortsteiles Kleinropperhausen heute die Möglichkeit, Familienfeiern und Feste, die über den häuslichen Rahmen hinausgehen, dort zu feiern.

Im gleichen Jahr wurde mit der Errichtung eines Bauhofes für die Gemeinde Ottrau „In der Otter“ begonnen. Diese Einrichtung war notwendig geworden, um den sehr umfangreich gewordenen Fuhr- und Maschinenpark der Großgemeinde unterzubringen.

Auch die Mehrzweckhalle entsprach nicht mehr den Erfordernissen der Großgemeinde. Für mittelgroße Versammlungen erwies sich das Atrium der Halle als zu klein, der Festsaal dagegen zu groß. Durch eine Aufstockung des Feuerwehrgerätehauses wurde ein mittelgroßer Raum geschaffen, der dann zur 1200-Jahrfeier zum ersten Mal zur Verfügung stand.

Rechtzeitig zu diesem Fest stellte man fest, dass das bisherige Wappen der Gemeinde Ottrau eigentlich keinen Bezug zum Ortsnamen hatte und so wurde im Mai 1981 von der Gemeindeverwaltung beschlossen, ein neues in Auftrag zu geben, das der wahrscheinlichen Ableitung des Namens Ottrau von Otter = Fischotter entsprechen sollte. Dieses Wappen wurde vom Hessischen Ministerium des Inneren genehmigt.

Noch zwei Ereignisse fielen in die Zeit der 1200-Jahrfeier. Zum einen zerstörten zwei aufeinanderfolgende Unwetter im Juni 1981 die Otterbrücke. Sie musste abgebrochen und neu errichtet werde. Zum anderen organisierte die Post ihren Verteilerdienst neu. Die Poststellen der einzelnen Gemeinden wurden aufgelöst und ein zentrales Postamt in Ottrau errichtet. Den von der Post angemieteten Neubau ließ der Landwirt Georg Ploch erstellen. Das Postamt nahm am 01. Juli 1982 seinen Betrieb auf. In zwei Sitzungen der Gemeindevertretung vom 07. August und vom 23. Oktober 1981 wurde die Ausrichtung der 1200-Jahrfeier beschlossen.1

1 WS: Mein besonderer Dank gebührt den beiden ehemaligen Bürgermeistern der Gemeinde Ottrau Johannes Ploch und Hans Ploch. Das Erinnerungsvermögen von Johannes Ploch und der Fleiß von Hans Ploch, der alle Daten zusammengetragen hat, haben mir die Fortsetzung der Chronik überhaupt erst ermöglicht

Bürgermeister der Gemeinde Ottrau

HM: frei nach Hans Euler, aus: „1200 Jahre Ottrau“, Festschrift zur 1200-Jahrfeier; 1982

1835-1837 Battenberg, Johannes
1837-1874 Knoch, Johannes
1874-1892 Kurz, Kaspar
1892-1916 Martin, Joh. Heinrich
1916-1924 Ploch, Joh. Jost
1924-1937 Geisel, Konrad
1937-1945 Vey, Johannes1
Mai/Juni 1945 (eingesetzt) Stein, Johannes
Juni 1945 – Juni 1952 Ploch, Johannes
Juni 1952-31.03.1972 Ploch, Hans
01.04.1972-15.12.1972 Allendorf, Jakob (Staatsbeauftragter)
1972-1987 Euler, Johannes
1987-2005 Keil, Georg
2005-2011 Grein, Heinz
2011-2020 Miltz, Norbert
seit 2021 Korell, Jonas

Die Amtsgeschäfte des Kassenverwalters (früher Gemeinderechner genannt) wurden wahrgenommen von:

1914-1930 Krey, Joh. Jost
1930-1972 Krey, Joh. Heinrich
1972 Roth, Karl

 

1 Während seiner Abwesenheit im Krieg und anschließender Kriegsgefangenschaft wurden die Amtsgeschäfte vom 1. Beigeordneten Joh. Heinrich Merle geführt

Das Vereinsleben in Ottrau und Kleinropperhausen

Woldemar Stumpf; 1984

Der erste Verein in Ottrau war der Darlehenskassenverein. Er wurde am 15. Mai 1881 durch Pfarrer Seelig gegründet. Dieser Verein verfolgte vor allem wirtschaftliche Interessen. In einem Zusammenschluss auf Gegenseitigkeit sollte die Lage der einheimischen Landwirtschaft verbessert werden.

Pfarrer Seelig und die gerichtliche Eintragungsbestätigung, aus der Festschrift der Raiffeisenkasse Ottrau zum 75sten Geburtstag; 1956

HM: Pfarrer Seelig setzte sich persönlich mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) in Verbindung. Dieser antwortete schnell und unter Berücksichtigung seiner Ideen und Vorschläge wurde der Ottrauer Darlehenskassenverein gegründet. Noch im Gründungsjahr traten Bürger aus den Gemeinden Ottrau, Görzhain, Kleinropperhausen, Berfa, Immichenhain und Weißenborn, später auch aus Hattendorf, Schorbach und Elbenrod diesem Verein bei.

Das erste Geschäft war der gemeinsame Einkauf von Kalk. Das Warengeschäft wurde weiter ausgebaut und so konnten ab 1890 Futtermittel, Düngemittel und Kohlen angeboten werden. Später kamen dann auch ein gemeinsamer Maschinenpark hinzu, wie zum Beispiel eine Saatgutreinigungs- und Beizanlage, ein genossenschaftlicher Betonmischer, eine Kartoffeldämpfanlage und eine fahrbare Waschanlage, Kreissäge und der erste Großflächenstreuer.

Pfarrer Seeligs Nachfolger Pfarrer Glintzer gründete den ersten nichtkommerziellen, den Gartenbauverein. Die Mitglieder, die sich der Obstbaum- und Beerenzucht widmeten, veranstalteten in den Jahren 1887 bis 1904 Ausstellungen, bei denen auch züchterische Leistungen prämiert wurden. Nachdem Pfarrer Glintzer die Ottrauer Gemeinde verlassen hatte, erlosch dieser Verein.

Sangesfreudige Bürger gründeten am 07. Dezember 1894 den Männergesangverein „Liederkranz“. Sein Hauptzweck ist die Pflege des Deutschen Liedes und damit verbunden die musikalische Ausgestaltung familiärer Ereignisse und öffentlicher Veranstaltungen.

Gründung des Männergesangsvereins "Liederkranz"

 

 

Foto aus dem Nachlass von Georg Ploch; Gründung des Männergesangvereines „Liederkranz“

Letzte Reihe von links: Adam Krey, Heinrich Marx, Johannes Schmidt, Joh. Heinrich Kohl, Johannes Falk, Konrad Wind, Andreas Stumpf, Konrad Bernhardt, Joh. Georg Martin

Mittlere Reihe von links: Joh. Heinrich Kropf, Joh. Jost Ploch, Johannes Kurz, Joh. Heinrich Martin, Lehrer Strack, Joh. Kessler, Heinrich Marx, Joh. Stumpf, Joh. Krey, Joh. Heinrich Krey

Vordere Reihe von links: Joh. Gischler, Joh. Jost Muhl, Georg Heinrich Merle, Lehrer Knoch, Rudolf Nafziger, Heinrich Merle, Joh. Geisel

In diese Zeit fällt auch das zwar nicht zum Vereinsleben gehörende Erscheinen des „Kasseler Sonntagsblattes“. Dieses wöchentlich erscheinende Blatt, Vorläufer der heutigen Tageszeitungen, kam ebenso wie die Vereinsgründungen den wachsenden kulturellen Bedürfnissen der Landbevölkerung entgegen. Neben einem religiös-erbaulichen Teil druckte dieses Blatt auch Kommentare zur Tages- und Weltpolitik und schloss so die Landbevölkerung näher an das Weltgeschehen an.

HM: Bis in die 70er Jahre hat der Ortsdiener regelmäßig die Ottrauer Bürger informiert, indem er mit einer Glocke ausgerüstet auf seine Anwesenheit im Ort aufmerksam gemacht hat. Er verkündete dann die „Bekanntmachungen“ an im Dorf festgelegten Plätzen. Heute ist der Knüll-Bote das amtliche Verkündungsorgan, in dem die Bürger aus Ottrau sowie Neukirchen und Schwarzenborn, seit einiger Zeit auch die aus Oberaula, alles Wichtige aus der Gemeindepolitik und dem Vereinsleben nachlesen können.

Übrigens: Das Kasseler Sonntagsblatt gibt es immer noch.

Das Gründungsdatum des Kriegervereins lässt sich nicht mehr ermitteln. Diese Vereine entstanden jedoch im Allgemeinen in der Folge des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Seine Bestimmung sahen die Mitglieder in der Pflege soldatischer Tugend und Tradition. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges löste er sich auf.

Die um die Jahrhundertwende auch in Deutschland einsetzende allgemeine Sportbewegung führte am Himmelfahrtstag des Jahres 1919 zur Gründung des „Clubs Frohsinn“, der der Vorläufer des heutigen Sportvereins „Frohsinn“ war. Ab 1923 widmete sich der Verein vor allem dem Fußball. Nach dem 2. Weltkrieg wurden auch andere Sportarten wie zum Beispiel Tischtennis ins Vereinsleben aufgenommen. Das sportliche Leben wäre ohne diesen Verein in unserer Gemeinde nicht mehr vorstellbar.

Um die Interessen der Kriegsopfer und Kriegshinterbliebenen des 1. Weltkrieges zu vertreten, schlossen sich die Betroffenen aus Ottrau und Kleinropperhausen dem Reichsbund für Kriegsopfer an und gründeten im Jahre 1920 die Ortsgruppe Ottrau.

Mitte der 20er Jahre konstituierte sich ein Schützenverein, der aber nie sonderlich aktiv war und nach dem 2. Weltkrieg nicht weitergeführt wurde.

Von kirchlicher Seite erfuhr das Vereinsleben ebenfalls eine Bereicherung. So gründete der 1928 im Amt eingeführte Pfarrer Winzer drei Vereine: als erstes den Posaunenchor, später die Frauenhilfe und schließlich den Jungmänner- und Jungmädchenverein mit der Jungschar. Der Posaunenchor existiert noch heute, während die anderen Vereinigungen im Zuge der folgenden politischen Umwandlung umfunktioniert wurden und nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr zusammenkamen.

1950 gründete sich der Singkreis der evangelischen Kirchengemeinde von Ottrau und Kleinropperhausen, der vorwiegend als reiner Frauenchor, aber gelegentlich auch als gemischter Chor auftrat.

Am 13. März 1961 wurde auf Anregung der Freifrau von Schwertzell aus Willingshausen die DRK-Gruppe ins Leben gerufen. Dieser Verein hat sich vor allem auf dem humanitären Sektor sehr verdient gemacht.

Die Ottrauer Burschenschaft, eine seit Jahrhunderten bestehende Einrichtung, gab sich vor etwa 30 Jahren Vereinsstatus. Ihr Hauptanliegen ist die Abwicklung aller Tanz-veranstaltungen sowie Fastnacht, Probtanz und Kirmes.

Beide Gemeinden verfügen schon seit langer Zeit über Pflichtfeuerwehren, die allerdings schlecht ausgerüstet waren. Um diesem technischen Notstand abzuhelfen, wurde am 05. Februar 1957 auch gegen einigen Widerstand vom damaligen Bürgermeister Ploch die Freiwillige Feuerwehr in Ottrau gegründet. Da die Zuschüsse bei Freiwilligen Feuerwehren erheblich höher waren als bei Pflichtwehren, konnte innerhalb kurzer Zeit eine moderne und gut ausgerüstete Truppe auf die Beine gestellt werden. Damit zog Ottrau mit der Gemeinde Kleinropperhausen gleich, die schon im Jahre 1951 eine Freiwillige Feuerwehr gegründet hatte.

Den Reigen der Ottrauer Vereine beschließt vorläufig der Landfrauenverein, der am 14. November 1978 ins Leben gerufen wurde. Moderne Kochkunst, Hauswirtschaft, Handarbeiten; Fortbildungsreisen in andere Länder und gegenseitiger Erfahrungsaustausch sind nur einige Ziele, die dieser Verein verfolgt.

Die landwirtschaftliche Entwicklung in den Gemeinden Ottrau und Kleinropperhausen von 1900 bis 1982

Woldemar Stumpf; 1984

Sichel, Sense und Dreschflegel waren über Jahrtausende nahezu unverändert die Hauptwerkzeuge der Landwirtschaft. Die Erfindung der Dampfmaschine und nachfolgend des Dieselmotors sowie die Entwicklung der Elektrizität und ihre allgemeine Einführung in den Jahren 1900 bis 1922 bedeuteten eine landwirtschaftliche Revolution.

In den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte sich in Ottrau und Kleinropperhausen die erste Dreschgenossenschaft gebildet. Dampfmaschine und Dreschwagen ersetzten erstmals den Dreschflegel.

1906 war die erste Mähmaschine im Einsatz, ein amerikanisches Produkt. Die Elektrizität und der Elektromotor ermöglichten es in der Landwirtschaft ortsfeste Maschinen ohne Einsatz von Körperkraft zu betreiben. Am Anfang trieb oft ein Elektromotor über Transmission verschiedene Maschinen. Im Laufe der Jahre verfügte dann schließlich jede elektrisch betriebene Maschine über einen eigenen eingebauten Elektromotor, so dass die Transmissionen überflüssig wurden. Zwischen den beiden Weltkriegen kam auch erstmals der von Pferden gezogene Selbstbinder zum Einsatz und erleichterte die Arbeit bei der Getreideernte. Der erste Schlepper fuhr in Ottrau unmittelbar vor Ausbruch des 2. Weltkrieges – Eigentümer war die Raiffeisen-Genossenschaft. Der Schlepper hatte bis 1960 in fast jeden landwirtschaftlichen Betrieb Eingang gefunden. Hydraulik und eine Vielzahl technisch neuer Zusatzgeräte machten den Schlepper zum Universalgerät.

Fahrzeuge mit einer Leistung von annähernd 100 Pferdestärken, auf Wunsch sowohl mit Klima- als auch mit Stereoanlage ausgestattet, sind die vorläufig letzten Errungenschaften. Der selbstfahrende Mähdrescher als Ergänzung reduzierte inzwischen die Erntearbeit auf einen einzigen Arbeitsgang. Noch vor ca. 50 Jahren benötigte man für den gleichen Prozess mehr als sieben Arbeitsgänge und ein Vielfaches an Arbeitszeit. Innerhalb von nur zwei Generationen verwandelte sich die einst so schweißtreibende und knochenschindende – oft 16-stündige, mühsame – Arbeit in eine Knopfdruckautomatik mit nie geahnter Produktivität.

Wie sich die Zeit gewandelt hat, sieht man am besten daran, dass die Landwirtschaft nicht nur keine fremden Arbeitskräfte mehr benötigte, sondern dass darüber hinaus sogar heute die jüngeren Bauern, deren Eltern resp. Schwiegereltern noch rüstig sind, selbst hauptberuflich anderweitig arbeiten und ihre Landwirtschaft nebenbei betreiben.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde durch den Einsatz von Kunstdünger die uralte Dreifelderwirtschaft zugunsten einer fortlaufenden Nutzung abgelöst. Früher wurden in unserer klimatisch nicht sehr begünstigten Heimat vorwiegend Roggen, Hafer und Gerste angebaut. Durch die winterharten Neuzüchtungen gibt es heute fast nur noch Weizen und Gerste. Der Mais als Futterpflanze, bei unseren klimatischen Gegebenheiten zunächst völlig unbekannt, hat heute den Klee verdrängt und prägt stark das landschaftliche Bild.

Der massive Einsatz von Kunstdünger und die Anwendung von Pestiziden gegen den Schädlingsbefall haben in den vergangenen 20 Jahren zu einer Ertragsexplosion geführt. Gegenüber der Vorkriegszeit wurden die Erträge bei der Halmfrucht zum Teil mehr als verdreifacht. Diese Entwicklung hat nicht nur Freude, sondern auch Nachdenklichkeit ausgelöst. Die Tier- und Pflanzenvielfalt – so Wissenschaftler und Umweltschützer – haben sich dramatisch verringert und viele Arten und Gattungen sind vom Aussterben bedroht. Auch innerhalb der Landwirtschaft sind in den letzten Jahren Zweifel darüber aufgekommen, ob der Pestizid-Einsatz nicht übertrieben wird und überhaupt noch ein nennenswerter Kosten-Nutzen-Effekt feststellbar ist. Das Aussterben und Verschwinden vieler Pflanzen und Tierarten führt nicht nur zu einer Monotonie im Landwirtschaftsbild, sondern sollte allgemein zu denken geben. Der ausschließliche Einsatz von Kunstdünger, ohne die Zufuhr von Humus, schädigt auf Dauer die Bodengare und verändert durch Nitratablagerungen das Grundwasser. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sollten alle Beteiligten zum Nachdenken veranlassen, um das wirtschaftliche Überleben jedes Einzelnen sicherzustellen.

Die derzeitigen agrarpolitischen Umstände zwingen hingegen die Landwirtschaft zu immer höherer Produktivität, da den ständig steigenden Kosten bei nicht angepassten Preisen nur durch Mehrproduktion beizukommen ist.

Aus der nachstehend aufgeführten Tabelle kann man ersehen, dass der Mechanisierungs- und Produktionsprozess in der Landwirtschaft einen grundlegenden Strukturwandel zur Folge hatte. Über die Hälfte der Kleinbetriebe bis 25 ha hat aufgegeben bzw. verpachtet, während die Anzahl der Betriebe, die 25 ha und mehr unter dem Pflug haben, deutlich angestiegen ist.

Bei den folgend genannten Flächen handelt es sich um eigenes und zugepachtetes Land:

 

1939

1982

über 25 ha

1 (1)

8 (1)

7,5-2,5

22 (5)

11 (5)

5-7,5

4 (2)

4 (0)

1-5

45 (7)

16 (3)

bis 1

28 (0)

19 (2)

Die Zahlen in Klammern betreffen Kleinropperhausen.

Zwei die Landwirtschaft betreffenden Ereignisse sind noch anzumerken. Einmal gab im Jahre 1919 die damalige Regierung den „Sebbelrain“ und den „Hummelwald“ – eine Waldenklave vor der „Dick“ gelegen – zur Rodung frei. Nachdem dieses Gebiet parzelliert worden war, konnte es von Mitbürgern, die bis dahin kein Land ihr Eigen nannten, in kleineren Parzellen günstig erworben werden. Die soziale Absicht des Staates war es, den Menschen in dieser Notzeit die Möglichkeit zur größeren Selbstversorgung zu geben. Der Sebbelwald erstreckte sich damals bis in die unmittelbare Nähe des heutigen Kindergartens und der Wilhelm-Schäfer-Schule. Durch diese Maßnahme erhielten insgesamt 28 Familien Ackerlandparzellen in der Größe von 0,2 bis 0,4 ha.

Zum Zweiten begann im Jahre 1934 unter dem damaligen Bürgermeister Konrad Geisel und dem späteren Bürgermeister Johannes Ploch als Vorsitzenden der Umlegungsgemeinde die Flurbereinigung Ottrau. Durch die Zusammenlegung des weit verstreuten Einzelbesitzes und der Anlage eines Feldwegesystems wurde es den Landwirten ermöglicht, ihren Besitz rationeller als bisher zu bearbeiten und die Fruchtfolge ohne nachbarliche Rücksichtnahme selbst zu bestimmen. Der Flurbereinigung verdanken wir übrigens auch das heutige Schwimmbad.

Die Flurbereinigung in Kleinropperhausen wurde im Herbst 1935 begonnen. Die Zuteilung der neuvermessenen und zusammengelegten Grundstücke erfolgte im Herbst 1938. Im Zuge dieser Flurbereinigung wurde das sogenannte „Wäldchen“, das sich zwischen dem Ottertal und der Anhöhe über Kleinropperhausen erstreckte, gerodet und in Ackerfläche verwandelt. Dieses Wäldchen hatte eine Größe von ca. 12,5 ha. Übrig geblieben ist das heutige kleine Feldgehölz.

Die kirchliche Entwicklung nach 1914

In der „Geschichte von Ottrau und Kleinropperhausen“ sind die Pfarrer in ihrer Tätigkeit beschrieben bis zu dem Pfarrer, der dieses Werk verfasst hat, nämlich Pfarrer Wagner. Über die Persönlichkeit und das Wirken des Lic. Theol. Wilhelm Wagner sei noch die Beurteilung seines Nachfolgers, Pfarrer Jacob, nachgetragen. Er schreibt in der Ottrauer Kirchenchronik nach dem Tode Pfarrer Wagners: „Die hiesige Gemeinde verlor in dem Verstorbenen einen treuen Hirten und Seelsorger, die hessische Kirche einen gelehrten, tief gebildeten Theologen. Sein Gedächtnis lebt unter den Ottrauern fort in seinem Buche „Geschichte von Ottrau und Kleinropperhausen“, das der Entschlafene im Jahre 1914 noch herausgeben durfte.“

Die Nachfolge Pfarrer Wagners trat, wie schon erwähnt, Pfarrer Jacob am 1. August 1916 an. Es war die Zeit des 1. Weltkrieges. Diese Zeit, an die sich die älteren Menschen bestimmt noch erinnern können, muss die Menschen bis ins Innerste erschüttert haben. Der Abschied von Vätern, Ehemännern und Söhnen, die in den Krieg zogen, muss schwer und von Tränen begleitet gewesen sein. Man suchte innerlich Trost bei dem lebendigen Gott. Die „Kriegsgebetsstunden“ wurden von zahlreichen trostbedürftigen Gemeindegliedern besucht. Pfarrer Jacob, der in der Ottrauer Kirchenchronik auch die Jahre 1914 bis 1916 beschrieben hat, weiß aber auch von einem ganz unchristlichen Weg zu berichten, nämlich dem Aberglauben, der die innere Not des Krieges erträglicher machen sollte. Pfarrer Jacob schreibt: „Gar manchen der Krieger hat ein sog. Himmelsbrief als vermeintliches Schutzmittel gegen drohende Lebensgefahr mit hinausbegleitet im Feld. Und manche sorgende Mutter und Gattin hat den Weg zur Kartenlegerin gefunden, um sich die erhoffte Heimkehr des geliebten Mannes oder die immer wieder ersehnte Lebensexistenz des verschollenen Sohnes wahrsagen zu lassen.“ Aber die furchtbaren Opfer des Krieges blieben nicht aus. Die Todesnachrichten lösten tiefe Trauer und schweres inneres Leid aus. Besonders berührt es den Leser dieser Nachrichten, die in der Kirchenchronik aufgezeichnet sind, wenn ganz junge Menschen, die das Leben noch vor sich hatten, im Krieg ums Leben kamen. Erwähnt werden soll auch die Hungersnot, die immer stärker um sich griff. In dieser Notlage wurden einschneidende staatliche Maßnahmen angeordnet. Ältere Gemeindeglieder haben es mir schon berichtet, dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse vom Staat beschlagnahmt und aufgekauft wurden. Sie sollten in der notleidenden Bevölkerung gleichmäßig verteilt werden. Auch die Glocken wurden eingezogen, um zur Munitionsherstellung verwendet zu werden. In Ottrau blieb von den drei Glocken nur eine im Turm hängen. Von den beiden abgelieferten Glocken konnte eine freilich gerettet und im Jahr 1919 aus Neukirchen wieder abgeholt werden. Görzhain gab von den zwei Glocken eine hin. Auch die Orgelpfeifen aus Zinn wurden mit abgeliefert.

Die traurige Bilanz des 1. Weltkrieges in Ottrau neun Gefallene, in Görzhain dreizehn, in Kleinropperhausen zwei. Vermisste in Ottrau vier, in Görzhain drei, in Kleinropperhausen einer. In Görzhain zwei Invaliden, in Ottrau einer. Anfang des Jahres 1919 wurde in Ottrau die „Gemeinschaft“1 gegründet. Die Versammlungen wurden im Hause des Darlehenskassen-rechners Johannes Krey abgehalten.

Am 1. Februar 1928 ging Pfarrer Jacob nach Singlis, am 1. Juli 1928 wurde Pfarrer Wintzer als sein Nachfolger eingeführt. Pfarrer Wintzer hat in den Jahren seiner Tätigkeit in Ottrau mehrere Vereine gegründet. Am 18. Dezember 1928 kamen erstmalig 32 junge Mädchen aus Ottrau im Pfarrhaus zusammen. Aus ihnen hat sich der Jungmädchenverein gebildet. Am 23. Februar 1929 wurde der Posaunenchor in Ottrau gegründet. Es waren über 20 Mann, die den Chor bildeten. Im Winter 1930/31 ist zum ersten Mal der Mütterverein zusammengekommen, aus dem später die Evangelische Frauenhilfe wurde.

Im selben Winter wurden von Pfarrer Wintzer in Ottrau und in Görzhain Bibelstunden eingerichtet. Aus dem Backofenraum des Pfarrhauses wurde im Jahr 1931 das „Jugendheim“ geschaffen. Es wurde am 1. Advent eingeweiht.

Am 21. August 1932 ging über Ottrau ein furchtbares Unwetter nieder. Pfarrer Wintzer schildert es mit folgenden Worten: „Die Wassermassen wälzten sich von allen Seiten in das Dorf und brachten Menschen und Tiere in Lebensgefahr. Die Brücke über die Otter wurde vernichtet. Zäune wurden umgelegt, und ein großer Haufen von Sand, Erde und Schlamm blieb zurück. 30 Schweine und viel Federvieh sind ertrunken: Feldraine sind samt den Obstbäumen fortgerissen. Der Steinbruch ruht und alle Männer sind bei Aufräumungsarbeiten beteiligt.“

Von dem „neuen Geist“ ab 1933 verspürt man auch etwas in den Aufzeichnungen der Kirchenchronik. Sie berichtet, dass im März 1934 die Evangelische Jugend in Neukirchen in die Hitlerjugend eingegliedert wurde. Siebenmal ist die Polizei bei Pfarrer Wintzer gewesen, um ihn zu verhören. Der letzte Satz seiner Eintragungen in die Kirchenchronik zeigt etwas von der Situation der Kirche und von der inneren Einstellung des Pfarrers: „Die Kirche darf sich keinem äußeren Zwang ergeben und der Kampf hat schon gezeigt, dass die Kirche sich besonnen und zurückgefunden hat zu ihrem einen Herrn Jesus Christus.“

Im Jahr 1935 verließ Pfarrer Wintzer Ottrau (nach dem, was ich von seiner Tätigkeit gelesen habe, kann ich nur sagen: leider) und ging nach Eschwege. Ab 1. September 1935 wurde Pfarrer Hestermann Pfarrer von Ottrau. In seiner Amtszeit tobte der 2. Weltkrieg. Infolge der Bombenangriffe auf Kassel bekam Ottrau Einquartierungen von Kasseler Familien. Am Karfreitag 1945 rollten die Amerikaner mit 1000 Fahrzeugen, aus Berfa kommend, auf Ottrau zu. Am Ortseingang wurde der vorderste Wagen, ein Panzerspähwagen, durch eine Panzerfaust eines deutschen Unteroffiziers kampfunfähig gemacht. Zwei Amerikaner wurden getötet. Daraufhin fuhren sechs amerikanische Panzer am Lingelbacher Weg auf, um Ottrau bei weiterem Widerstand unter Beschuss zu nehmen. Im Pfarrhaus fielen auf der Suche nach versteckten Soldaten 25 Schüsse, die aber niemanden töteten. Der Pfarrer und seine Schwester hielten sich in den Ställen hinter dem Haus auf, die Bewohner Ottraus waren meist geflüchtet. Nachdem keine deutschen Soldaten entdeckt wurden, rollte die amerikanische Kolonne durch Ottrau Richtung Bahnhof. Am selben Tag wurden von einem amerikanischen Feldwebel zwei deutsche Soldaten erschossen, die auf dem Ottrauer Friedhof bestattet sind. So ist Ottrau von Zerstörungen und Verlusten der Zivilbevölkerung, soweit ich weiß, verschont geblieben. Aber die Verluste unter den Ottrauer Männern, die im Krieg geblieben sind, waren hart und schmerzlich genug.

Pfarrer Hestermann ging am 1. Juli 1950 in den Ruhestand und verzog nach Schlüchtern. Am 1. September 1950 wurde Pfarrer Müller Stelleninhaber der Pfarrstelle Ottrau. Seine Tätigkeit war stark geprägt durch Renovierungsmaßnahmen an den kirchlichen Gebäuden und dem Neubau des Pfarrhauses. Pfarrer Müller beschreibt diese Seite seiner Tätigkeit mit den Worten: „Mit dem Jahre 1951 setzte eine fast zwanzig jährige Periode ein, in der die Gemeinden unter großen materiellen Opfern ihr kirchliches Eigentum in Ordnung brachten, in diesen Bemühungen durch die Landeskirche gefördert und unterstützt.“

Die Görzhainer Orgel wurde im Jahr 1951 notdürftig renoviert. Im Jahr 1952 wurde im Pfarrgehöft der baufällige Schweinestall abgerissen und das „Jugendheim“ mit einem Windfang versehen. Der alte Ofen wurde durch einen neuen ersetzt und die Wände mit Hartfaserplatten als Schutz gegen die Kälte getäfelt. Zwar konnte die Kälte vom Fußboden her nicht aufgehalten werden, aber durch die Renovierungsmaßnahmen war der Raum, in dem Konfirmandenunterricht, Sitzungen des Kirchenvorstandes, Frauenstunden der Frauenhilfe und Bibelstunden abgehalten wurden, erträglicher geworden.

Im Jahr 1953 erhielten die Glocken in der Ottrauer Kirche die notwendige neue Aufhängung in einem Stahlglockenstuhl. 1956 wurde die Renovierung des Pfarrhauses in Angriff genommen. Der Plan, ein neues Pfarrhaus zu bauen, konnte damals noch nicht durchgeführt werden. Während der Renovierungsarbeiten war die Pfarrfamilie ins Jugendheim ausquartiert. Am 30. September 1956 wurde die Renovierung abgeschlossen.

Das Jahr 1959 brachte für die Gemeinde Ottrau die Erfüllung eines immer wieder zurückgestellten Wunsches nach einer dritten Glocke. Im Jahre 1920 bekam die Glocke, die zwar schon nach Neukirchen gebracht, aber doch nicht zu Kriegszwecken umgeschmolzen worden war, einen Sprung. Daraufhin wurden im Jahr 1922 zwei neue Glocken eingeweiht. Seitdem waren drei Glocken vorhanden, von denen im 2. Weltkrieg wiederum eine abgeholt worden war. Als Ersatz für die eingebüßte Glocke sollte eine neue angeschafft werden. Das Ergebnis einer Haussammlung (7.500 DM) veranlasste den Kirchenvorstand zu dem Beschluss, dass auch eine vierte Glocke angeschafft werden sollte. Am 1. November 1959 wurden die Glocken durch Dekan Roth eingeweiht.

Das Jahr 1960 brachte die Renovierung der Görzhainer Kirche. Am 21. August 1960 bekam Kleinropperhausen seine Glocke auf dem Friedhof. In den Jahren 1962 und 1963 wurde die Ottrauer Kirche renoviert. Am Pfingstmontag, dem 2. Juni 1963 konnte die Kirche wieder in Gebrauch genommen worden. Im selben Jahr 1963 kamen die Beratungen über den Neubau eines Pfarrhauses wieder in Gang. Das alte Pfarrhaus wurde verkauft. Im November 1963 bezog die Pfarrfamilie das neue Haus.

Diese genannten Arbeiten stellten eine große Leistung dar, die durch Pfarrer Müller gemeinsam mit den Gemeindegliedern erbracht worden ist. Wirklich alle kirchlichen Gebäude wurden in einen soliden Zustand gebracht.

Über diese Aufgaben hat Pfarrer Müller die Verkündigung des Evangeliums nicht vernachlässigt. In reicher Zahl wurden neben den regelmäßigen kirchlichen Veranstaltungen Bibelwochen und Evangelisationen durchgeführt. Eine besondere Gabe hatte er wohl im Umgang mit den Kindern. So ist auch seine Kindergottesdienstarbeit besonders zu erwähnen, von der manches Gemeindeglied noch gute Eindrücke bewahrt hat.2

1 Heinrich Ploch: „Die Gemeinschaft“ ist ein sogenanntes „Freies Werk“ innerhalb des kirchlichen Spektrums von Organisationen, die den Glauben Einzelner neben dem kirchlichen Angebot durch zusätzliche Angebote unterstützen wollen. Der CVJM Ottrau ist ein ähnliches Unterfangen.
In Ottrau gab es jahrzehntelang ein Angebot, das auch die „Stunde“ genannt wurde, im Haus Schultheis (in der Ottergasse). Der Verband heißt heute Landeskirchliche Gemeinschaft (Sitz in Neukirchen neben dem Knüll-House)
2 Die Angaben sind der Ottrauer Kirchenchronik, die seit 1833 geführt wird, entnommen. Hans Karl Schmidt, Pfarrer, abgeschlossen am 9. Juli 1982.

Kindergottesdienst 1968

Die Schule nach der Amtszeit Wilhelm Wagners

Burghard Trümner; „Aus der Geschichte der Ottrauer Schule“, Festschrift zur 1200-Jahrfeier der Gemeinde Ottrau; Seite 52 ff.:

(…) Im Jahre 1931 beschloss der Schulvorstand die Errichtung einer zweiten Lehrerstelle, die von dem späteren Hauptlehrer Max Böhm besetzt wurde. Ab dem Jahre 1941 war dieser mit kurzen Unterbrechungen in der Nachkriegszeit bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1965 Schulleiter der Wilhelm-Schäfer-Schule. Er ist heute noch eng mit Ottrau verbunden und hat sich zusammen mit dem damaligen Bürgermeister Johannes Ploch um den Neubau des jetzigen Schulgebäudes verdient gemacht. Von 1940 an war die Schülerzahl ständig gestiegen und erreichte im Jahre 1948 mit 185 Schülern den Höchststand. Für den Unterricht standen zwei unzureichende Räume zur Verfügung, die sog. „Alte Schule“ und ein Raum im Bauernhaus Merle, der seit 1936 für den Schulunterricht gemietet wurde. Es war deshalb ein besonderes Ereignis, als am Sonntag, den 30. Juli 1950, die neue Wilhelm-Schäfer-Schule eingeweiht werden konnte. Bei der Feier war der 82 Jahre alte Schriftsteller und Dichter Dr. Wilhelm Schäfer, dessen Name die Schule trägt, anwesend. Die innere Struktur der Schule wurde wesentlich durch den Weggang der Oberstufe 1966 verändert. Seit dieser Zeit ist die Wilhelm-Schäfer-Schule eine Grundschule.

Foto Schule 1965; links Lehrer Böhm und Lehrerin Siedler, rechts Lehrer Manns

Nachdem der Lehrer und Schulleiter Heinrich Manns nach 17-jähriger Tätigkeit in Ottrau in den Ruhestand ging, wurde Burghardt Trümner vom 1. Februar 1967 an die erste Stelle der Wilhelm-Schäfer-Schule übertragen. Als zweite Lehrkraft war Fräulein Siedler, jetzt Frau Weishaar, bis 1973 in Ottrau tätig.

Die Schulentwicklung der letzten Jahre ist wesentlich durch den starken Rückgang der Schülerzahlen bestimmt worden. Wenn es in den Jahren 1967 bis 1975 etwa 15 Schulanfänger in Ottrau gab, so ist diese Zahl in den darauffolgenden Jahren bis auf die Hälfte zurückgegangen. Diese Entwicklung zeichnete sich auch in den umliegenden Grundschulen ab und war deshalb Anlass für zahlreiche Diskussionen über die weiteren Schulorganisationen im Raum Ottrau. Ab dem Schuljahr 1977/78 werden nun auch nach der Zusammenlegung in der Großgemeinde Ottrau Schüler des 1. bis 4. Schuljahres mit dem Schulbus befördert.

Zur Zeit wird die Grundschule in Ottrau von insgesamt 103 Kindern besucht, die in vier Jahrgangsklassen in Ottrau, Immichenhain und Görzhain von den Lehrkräften M. Pletsch, I. Ries, U. Rüffer und B. Trümner unterrichtet werden.